Essay (9) von Dieter
Heymann
„Meine Gedanken hinter den Nachrichten“ 15. Dezember 2021
Dieses Essay habe ich überschrieben mit „Essay“, weil Corona darin nicht mehr die Hauptrolle spielt. Langsam reicht’s!
Zurzeit beschäftige ich mich in erster Linie mit meinem Jahrbuch, Bilder des Jahres 2021. Schon viele Jahre stelle ich meine Handyfotos in ein Fotobuch, das ich am Heiligabend für die Familie unter den Weihnachtsbaum lege. Gerade bei dieser Beschäftigung empfinde ich die dahin eilende Zeit. Je älter ich werde, umso schneller scheint die Zeit zu vergehen. Schon wieder ein Jahr vorbei. Und was für ein Jahr! Professor Adrian Bejan sieht den Grund für dieses Phänomen, dass die Wege zur Verarbeitung von Eindrücken länger werden, weil das Netz aus Nerven und Neuronen in unserem Gehirn wächst und komplexer wird. Außerdem altern sie auch, wodurch die elektrischen Signale mehr Widerstand haben und langsamer werden. Wir brauchen also im Alter schlichtweg länger, um neue Eindrücke zu verarbeiten. Weil wir in der gleichen Zeit weniger Erlebnisse verarbeiten und Eindrücke aufnehmen, scheint es so, als würde die Zeit schneller vergehen. Man könne dem tatsächlich entgegenwirken, indem wir immer wieder einmal Urlaub machen. Eine Woche im Urlaub dauert gefühlt länger als eine Woche bei der Arbeit und im Alltag, weil viele neue Eindrücke verarbeitet werden müssen. Bei dieser Empfehlung stand Prof. Bejan sicher noch nicht unter der Geisel der Pandemie, bei der es nicht so einfach ist, unerschrocken und unbeschwerlich Urlaub zu machen und vor allem auch richtig zu genießen.
Gibt es Zufälle? Ich glaube nicht! Bei meiner abendlichen Bettlektüre lese ich gerade mal wieder „Momo“ von Michael Ende, ein „Kultbuch“ beschrieb es die Stuttgarter Zeitung und Die Welt titelte die Rezension „Ein Märchen für Kinder wie für Erwachsene“ als es 1973 erschien. Momo ist tatsächlich die Einzige, die den Zeitdieben Einhalt gebieten kann. Merkwürdig, dass ich nach dem Lesen einiger Seiten gut ein- und durchschlafe.
Dieser Tage entdeckte ich beim Einkauf in einer Apotheke eine neue Ausgabe der Apotheken-Umschau mit dem Titelthema „Mein neues Glück – Erfüllter und zufriedener leben, so kann es klappen.“ Ein Thema neu aufgewärmt? Antworten auf die Fragen „Was macht uns glücklich? Und was ist Glück überhaupt?“ finden wir bei antiken Philosophen und in modernen sozialpsychologischen Studien. Viele Bücher wurden zu diesem Thema veröffentlicht. Auch der Volksphilosoph David Richard Precht hat dazu eine Filmkolumne passend zur ADR-Themenwoche "Zum Glück" bei YouTube eingestellt. In der Apotheken-Umschau vom 1. Dezember findet man auch eine „Anleitung zum kleinen Glück“. Eine Rezension zu meinem Vortrag „Epikur – der Glücksphilosoph“ können Sie hier nachlesen.
In meinem ersten 2014 erschienen Buch „Fröhlich altern“ beginne ich mit einem Kapitel über das Glück des Menschen und über Epikur,
dem Glücksphilosophen.
Leseprobe:
Die Philosophen und das Glück. Die Frage nach dem Glück durchzieht die 2 500 Jahre alte Philosophiegeschichte. Seit der griechischen Antike beschäftigen sich
Philosophen mit der Frage: Was ist eigentlich Glück? Was bedeutet es für den Menschen? Und zurzeit haben diese Fragen wieder Hochkonjunktur. Die Zeitschrift „Psychologie heute“ titelte im Januar
2006 „Die Balance des Glücks, warum wir positive und negative Gefühle brauchen“. Im Jahr 2007 erschien ein Kompaktheft mit dem Titel „Glücksmomente, was das Leben gelingen lässt“. Mir war es
wichtig, das Thema „Glück“ ganz allgemein, fachübergreifend, psychologisch und philosophisch zu betrachten. Viele Medien haben Glück zum Titelthema gemacht. Mich interessierten die modernen
Erkenntnisse der wissenschaftlichen Glücksforschung. Und da gibt es eine Menge. Den provokativen Fragen: „Gibt es einen Schlüssel zum Glück?“ oder „Glücksformeln, wie funktionieren sie?“, bin ich
nachgegangen. Ein wenig Glück gehört unmittelbar zu unser aller Leben und ganz besonders zum „fröhlichen Altern“. Weiterlesen: Fröhlich altern ISBN 978-3735744227
Im zweiten 2016 erschienenen Buch „Harriet & Hermine“ unterhält sich Hermine mit der gescheiten
Philosophin Harriet über die Kunst glücklich zu sein.
Leseprobe:
Beginnen wir diese Unterhaltung der beiden Philosophinnen einmal mit dem Titel des kleinen Handbuchs „Die Kunst, glücklich zu sein“ des griesgrämigen Misanthropen und Weltverächters, dem großen deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer. Auf der Rückseite dieses von Franco Volpi, Philosophieprofessor an der Universität Padua, herausgegebenen Büchleins steht ein großartiges Zitat von Schopenhauer:
Was einer für sich selbst hat, was ihn in die Einsamkeit begleitet, und keiner ihm geben und nehmen kann: dies ist viel wesentlicher als alles, was er besitzt, oder was er in den Augen andrer ist.
„Weißt du eigentlich, Hermine, dass man Menschen ziemlich durcheinander bringen kann mit der direkten Frage: Bist du glücklich? Wenn du Vergleiche anstellst, hast du ein todsicheres Mittel gewählt, dir jegliches Glück selbst zu vermiesen. Mancher wird dir vielleicht auch wieder mit einer Gegenfrage antworten: Was verstehst du eigentlich unter Glück? Viele sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie keine Zeit haben, sich selbst einmal diese Frage zu stellen, geschweige denn, sie sich selbst zu beantworten.
Das ist ja vielleicht auch ganz gut so. Viele zehren nämlich in erster Linie vom Glück, was ihnen in der Vergangenheit einmal widerfahren ist, nur wenige sehen ihr Glück eher im Jetzt und Hier und schon überhaupt nicht in der Zukunft. Wenn ich erst einmal das und jenes hinter mich gebracht habe, dann kommt das Glück schon von ganz alleine … Glauben die das wirklich? Für die meisten bedeutet Glück tatsächlich in erster Linie gesund, wohlhabend und bedeutend zu sein.“
„O, Harriet, weiß Gott, dass das nicht stimmt. Wir müssen selber etwas dafür tun, um glücklich zu sein. Wir möchten natürlich so oft wie möglich das Gefühl des immer-währenden Glücklichseins abrufen und zu jeder Zeit am eigenen Leib spüren können. Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt, wie Goethe seinen Egmont im dritten Aufzug sagen lässt. So extrem muss es ja auch nicht gleich sein. Ein ganz kleines bisschen Glück reicht uns ja meistens schon. Es wird behauptet, Glück finden könne man nur in sich selbst, so beschreibt das ja auch Schopenhauer im Zitat. Andere meinen, die Sehnsucht nach dem Glück sei doch nur etwas für Romantiker. Übrigens, vom russischen Schriftsteller und Arzt Anton Tschechow, einem Vielschreiber mit seinen über 600 literarischen Werken, einem der bedeutendsten Autoren russischer Literatur, stammt das Zitat: Es gibt kein Glück, nur die Sehnsucht danach.“ Weiterlesen: Harriet & Hermine ISBN 978-3741213670
Auch im 2018 erschienen drittem Buch „Weise altern“ Persönliche Lebenserfahrungen und philosophische Erkenntnisse, gibt es ein Kapitel mit Anregungen zum Erhalt der Seelenruhe, der Ataraxie.
Leseprobe:
Alle Philosophen streben nach Seelenruhe, der Ataraxie, der totalen Gleichmütigkeit. Gerade die
sogenannten Stoiker ließen sich mitnichten in ihrer Gemütsruhe stören. Der große deutsche Philosoph Nietzsche erklomm die Schweizer Berge und dachte dort über das Leben und sich selbst nach. Kant
hat seinen Geburtsort Königsberg niemals verlassen, aber er diskutierte im Gasthaus jeden Mittag beim gemeinsamen Essen mit seinen Freunden. Nach seinem täglichen Mittagsschlaf begann er stets
auf die Minute genau seine Spaziergänge um sein Haus, bei dem man ihn mit Menschen diskutieren sehen konnte. Er war eine sehr eigenwillige Person mit einem geistreichen Humor. Er wollte den
Menschen die ganze Welt erklären. Immanuel Kant gilt als schwer verständlich. Andererseits hatte er einen enormen Ideenreichtum und wir können von ihm auch heute noch lernen, zweihundert Jahre
nach seinem Tod. Weiterlesen: Weise altern ISBN 978-3752852844
Über die „Philosophie der Gelassenheit“ und den stoischen „Philosophenkaiser“ Mark Aurel habe ich in meinen Essays schon mehrfach berichtet. Wie wichtig in der Post-Corona-Ära die Denkrichtung der Stoa hilfreich sein kann, haben wir in der Diskussion bei meinem Vortrag zu diesem Thema gemeinsam erörtert. Auch eine von mir gesprochene Achtsamkeits-meditation oder die Farben-Chakren-Meditation können Sie hier anklicken und einfach nachlesen oder nur zuhören.
In diesem Zusammenhang stelle ich Ihnen Marina Abramović vor. Eine weltberühmte Performance-Künstlerin. Sie feierte am 30. November 2021 ihren
fünfundsiebzigsten Geburtstag. Bei der Biennale 1997 „The Artist is Present“ und 2010 im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) saß sie auf einem Stuhl inmitten des Ausstellungssaals dem Publikum
gegenüber und bot den Besuchern die Möglichkeit, mit ihr in direkten Kontakt zu treten.
Sie brach damit alle Besucherrekorde. Die Performance lief während der gesamten Ausstellungsdauer, insgesamt 736 Stunden, in denen Abramović mit 1 675 Personen Blickkontakt hatte. Die Akteure
saßen sich gegenüber und blickten einander schweigend in die Augen. Der Kontakt dauerte jeweils so lange, bis der Besucher sich entschied, aufzustehen und die Situation zu verlassen. Obwohl die
Kommunikation sich auf die minimalen Regungen im Gesicht der Beteiligten beschränkte, beschreiben alle – die Künstlerin wie auch die meisten Besucher – die Begegnung als besonders intensive, ja
geradezu fundamentale Erfahrung, die mitunter starke emotionale Reaktionen hervorrief. Die Künstlerin selbst beschreibt die Performance als eine der schwierigsten, die sie je gemacht habe.
Ihre Schlussfolgerung lautete, dass es unmöglich sei, nicht zu kommunizieren. "Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren." Dieses Axiom von Paul Watzlawick ist wohl das bekannteste Zitat des Kommunikationswissenschaftlers und umfasst im Prinzip die gesamte Funktionsweise menschlicher Interaktion. Kommunikation findet fortwährend statt, bewusst oder unbewusst, durch Sprache, Mimik oder Gestik, durch Handeln oder Unterlassen. Ebenso wie es unmöglich ist, sich nicht zu verhalten, ist es nicht möglich, nicht zu kommunizieren. In der Kunstdarbietung von Marina Abramović lässt sich dieses Prinzip leicht nachverfolgen.
In einer von Nicole Fritz kuratierten Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen sagte Marina
Abramović, dass die Menschen vor drei Dingen Angst haben: 1. Angst vor Schmerz, 2. Angst vor Leiden und 3. Angst vor dem Tod. Und diese drei Dinge möchte sie als Nächstes auf die Bühne bringen,
durch diesen Prozess hindurchgehen und auf der anderen Seite wieder herauskommen, frei von Ängsten. Abramović: „Ich nehme Kunst so ernst, ich gebe
mein ganzes Leben der Kunst, ich opfere alles für die Kunst. Und wenn der Tod passiert, passiert es.“
Marina Abramović wohnt in einem spektakulären, sternförmigen Haus im Hudson Valley bei New York. Sie unterrichtete zwölf Jahre als Professorin erst in Hamburg, dann in Braunschweig. Inzwischen
lehrt sie ihre Abramović-Methode in Amerika und in vielen Ländern, aber auch online, Corona geschuldet. Eine halbe Million Menschen haben bei WePresent an ihren digitalen Übungen teilgenommen. Zu ihrem Achtsamkeitstraining zur Entschleunigung und
dem Nirwana der Zeitlosigkeit gehört zum Beispiel, sehr bewusst einen Schluck Wasser zu trinken, ganz langsam rückwärtszugehen oder jedes einzelne Korn in einer Handvoll Reis zu zählen. Am besten
gehe das mit Risotto Reis – lautet ihr praktischer Tipp. Ziel ist, das Tempo zu drosseln, die Aufmerksamkeit zu erhöhen und ein Gleichgewicht zu finden, zwischen dem eigenen Körper und der
Umgebung. Die beste Art zu leben, findet die Fünfundsiebzigjährige. In der Abramović-Methode verbindet sie ihre Erfahrungen mit
asiatischer Meditation, mit schamanistischen Ritualen und indigenem Naturverständnis zu einem neuen Körpergefühl, um zu einer anderen Geisteshaltung zu gelangen. Demnächst wird Marina Abramović,
als erste Frau, eine Ausstellung in der Londoner Royal Academy zeigen mit dem Titel "After Life", "Nachleben", zum Leben nach dem Tod.
Vielleicht sind diese beiden Autoren Marina Abramović und Paul Watzlawick - beide haben
zahlreiche Bücher veröffentlicht - ein Tipp zum Fest.
Zum Schluss möchte ich meiner Freude Ausdruck geben, dass wir nach dem Wechsel des Gesundheitsministers nicht mehr ständig in der ewigen Wenn-Dann-Kontingenz auf unsere Pflicht bei den Corona-Maßnahmen hingewiesen werden. Die Aussagen des Arztes und Wissenschaftlers Karl Lauterbach schaffen ein neues Selbstbewusstsein im Umgang mit dem Virus. Er spricht davon, dass er sicher ist, dass wir gemeinsam dadurch kommen. Mit unserem Verstand und unserer Vernunft sind wir dem Virus überlegen. Und die gilt es zu nutzen.
Ich möchte Sie auch auf die Weihnachtslesung mit Andrea Sawatzki und Christian Berkel am Samstag, 18. Dezember 2021 um 17:00 Uhr (https://gemeinsamdadurch.net/) hinweisen.
Mit herzlichen Grüßen und den besten Wünschen für schöne Feiertage. Starten Sie gut ins neue Jahr und bleiben Sie optimistisch.
Ihr Dieter Heymann
www.dieter-heymann.de | info@dieter-heymann.de
Alle vorherigen Essays sind auf meiner Homepage unter dem Link Essays nachzulesen
Corona-Essay (8) von Dieter Heymann
„Meine Gedanken hinter den Nachrichten“ 13. Oktober
2021
In diesem Essay stehen die Themen „Gibt es eine Post-Corona-Ära?“ und
„Wie können Krisen die Zukunft verändern?“ im Mittelpunkt. Es sind auch die Themen meines Vortrages am 17. November 2021 um 18:30 Uhr im Vortragsraum
der Akademie 55plus.
Mitglieder melden sich über das Internetportal www.aka55plus.de an. Sollte es noch freie Plätze geben, können auch
Nichtmitglieder teilnehmen. Bitte fragen Sie unter info@dieter-heymann.de nach. Die Veranstaltung findet unter Beachtung der
Corona-2-G-Regeln, geimpft oder genesen, statt, was am Eingang nachzuweisen ist.
Über die „Philosophie der Gelassenheit“ und den stoischen „Philosophenkaiser“ Mark Aurel habe ich in meinem Essay
Nr. 7 schon berichtet. Heute komme ich noch einmal auf den Stoizismus zurück, eine Denkrichtung, die uns gerade in der Post-Corona-Ära hilfreich sein kann. Ich bin auch zuversichtlich, dass die
positiven Ausblicke in die Wirtschafts- und Finanzwelt am Ende des Essays manche Leserin und Leser freudiger und sorgloser in die Zukunft blicken lassen.
„Das Schlimmste der Pandemie scheint überwunden zu sein“ titelten dieser Tage viele Zeitungen. Bundesgesundheitsminister Spahn verkündete, dass 96 Prozent der Covid-19-Intensivpatienten nicht geimpft seien. Seit September 2021 gelten in Hessen neue Landesvorgaben. Die Impfquote beträgt 65,2 Prozent (Quelle RKI). Das sollte dennoch kein Grund zur Sorge sein. Betrachtet man diese Quote nach Altersgruppen getrennt, so sind die über Sechzigjährigen zu 86 Prozent geimpft. Alle Erwachsenen sind zu 75 Prozent zweifach geimpft. Derzeit wird über eine Auffrischungsimpfung diskutiert, meist für Senioren mit schon abgeschlossener Grundimmunisierung. Die STIKO empfiehlt nun auch die Impfung für Kinder ab dem zwölften Lebensjahr, sowie für Schwangere und Stillende.
Für das Frühjahr 2022 hat der Bundesgesundheitsminister das Ende der meisten Corona-Beschränkungen angekündigt. Voraussetzung ist, dass bis dahin keine weiteren aggressiven Virusvarianten auftauchen. Wichtig sei auch, dass die Impfquote weiter steigt. „Entweder eine Infektion ohne jeden Schutz oder die Impfung gegen den Erreger“, sagt er. Wir wissen, bei der Infektion gibt es große Risiken, gerade für Menschen über 60 Jahre für einen schweren Verlauf. Aber auch viele jüngere Nichtgeimpfte haben Probleme. 96 von 100 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen sind nicht geimpft. Das ist das beste Argument für eine Impfung. Mehrere Bundesländer haben schon beschlossen, den Verdienstausfall für Ungeimpfte nicht der Allgemeinheit aufzubürden. Derzeit steht die 2-G-Regelung zur Debatte. Doch wie soll man eine Genesung dokumentieren? Im September feierte der Wirt Josef Laggner in Berlin sein traditionelles „Oktoberfest“ unter besonderen Bedingungen: In das Lokal kam nur herein, wer gegen das Coronavirus geimpft war. Der Bild-Zeitung sagte er, „Mit der 2-G-Regel hätte ich kontrollieren müssen, wann ein Genesener infiziert war und dann soll ich noch einschätzen, ob die Immunabwehr gegen das Virus noch ausreichend ist.“ Gastronom Laggner lässt sich von seinem 1-G-Plan auch in seinen vier Potsdamer Restaurants nicht abbringen. Im Innenbereich dürfen nur noch Geimpfte essen, Ungeimpfte müssen draußen sitzen. In der Praxis des Allgemeinmediziners Dr. Christian Albert in Hannover soll ab Januar 2022 zwar die 2-G-Regel gelten, aber er wird nur Genesenen-Nachweise akzeptieren, die er selbst mit einer Blutabnahme überprüft hat. Es werde wegen der Regeln von der Spaltung der Gesellschaft gesprochen, „aber die Gesellschaft spalten jene, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht impfen lassen“, meint der Arzt.
Alle aktuellen Impfstoffe scheinen zu wirken, eine wichtige Erkenntnis im Pandemie-Geschehen. Pandemien wird es weiterhin geben, doch die Wissenschaft kann den Erregern Einhalt gebieten, eine positive Erfahrung.
Joachim Müller-Jung, Ressortleiter Natur und Wissenschaft der FAZ, rezensierte das neu erschienene Buch „Projekt Lightspeed: Der Weg zum BioNTech-Impfstoff - und zu einer Medizin von morgen“ von Joe Miller mit Özlem Türeci und Uğur Şahin. Der letzte Satz der Rezension lässt aufhorchen und sorgt dafür, die Gesamtsituation nicht auf die leichte Schulter zu nehmen: „Es gilt einzusehen, dass wir uns noch inmitten der globalen Pandemie befinden und die Zukunft trotz der historischen mRNA-Erfolge immer noch offen ist.“ In Portugal sind über 84 Prozent der Bevölkerung zweimal geimpft und am Ende der Skala in Europa steht Bulgarien mit einer Impfquote von 19,3 Prozent. So lange es noch solche eklatanten Unterschiede gibt, sollten wir sehr vorsichtig sein.
Der britische Historiker Niall Ferguson wurde in einem Interview gefragt, ob die Corona- Pandemie aus historischer Sicht außergewöhnlich dramatisch verlaufe. Er rief in Erinnerung, dass die Asiatische Grippe nach der Spanischen Grippe die zweitschlimmste Pandemie des 20. Jahrhunderts gewesen war. Sie brach 1957 aus und ihr fielen Schätzungen zufolge bis zwei Millionen Menschen zum Opfer. Allein in Westdeutschland starben an der Asiatischen Grippe etwa 30 000 Menschen. Das Virus war leicht übertragbar und verursachte bis 1968 alljährlich weitere Infektionen. Danach wurde es abgelöst von einem Subtyp und löste die Hongkong-Grippe genannte Pandemie in den Jahren 1968 und 1969 aus. Dagegen war die Spanische Grippe von 1918/19 die schlimmste Pandemie des 20. Jahrhunderts mit bis zu 50 Millionen Toten weltweit. Doch auch sie kommt nicht annähernd an den Schwarzen Tod heran, wie die wohl verheerendste Pandemie der Weltgeschichte bezeichnet wird, die allein in Europa zwischen 1346 und 1353 geschätzt 25 Millionen Todesopfer forderte – ein Drittel der damaligen Bevölkerung. Über die Toten weltweit kann man nur mutmaßen. Es war die durch das Bakterium Yersinia pestis hervorgerufene Pest.
Im März hat Wolfgang Schäuble ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Grenzerfahrungen. Wie wir an Krisen wachsen“. Im Vorwort schreibt er, „wie wir an der Krise wachsen können, davon handelt dieses Buch, […] Covid-19 treibt uns durch eine steile Lernkurve und viele Lektionen werden bleiben, […] wir lernen gerade erst mit dem Virus zu leben, und realisieren, dass wir uns gegen vergleichbare Bedrohungen besser wappnen müssen.“
Covid-19 werde höchstwahrscheinlich dazu führen, dass wir unsere Anstrengungen zum Schutz des menschlichen Lebens noch verdoppeln, prognostiziert Yuval Noah Harari mit der Gelassenheit des Historikers, der in seinen Studien regelmäßig die Menschheitsgeschichte durchschreitet. Die vorherrschende kulturelle Reaktion auf Covid-19 sei nicht Resignation, sondern eine Mischung aus Empörung und Hoffnung. […] Harari sieht aber das Grundvertrauen der Menschen in die Wissenschaft, das Leben verlängern zu können, ungebrochen; es unterscheide unsere Welt von der vormodernen Zeit, als der Tod bei vielen Krankheiten als unausweichliches Schicksal gegolten habe. „Wenn allerdings die Pandemie, die Sensibilität des Individuums für seine Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit schärfen würde, wäre das für den modernen Menschen mit seinem Hang zur Hybris und für das Überleben der Spezies sicher nur von Vorteil.“ In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau sagte Harari, „Wir werden in einer anderen Welt leben, wenn die Krise vorbei ist.“ Yuval Noah Harari zählt zu den berühmtesten Historikern. Er erklärte Anfang 2021 die Impfung zur größten Erfindung der Menschheit.
Haben wir die Krise richtig wahrgenommen, um aus den Fehlern, zu lernen? Ist diese Krise wirklich aus heiterem Himmel über uns gekommen, wie viele das glauben? Oder ist es eine von Menschen gemachte, eine herbeigeführte Krise? Woher stammt eigentlich das Wort Krise und was bedeutet es? Krisis kommt aus dem Griechischen und steht für Unsicherheit, bedenkliche Lage, Zuspitzung, Entscheidung, Wendepunkt, auch Beurteilung. Krise wird in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen auf unterschiedliche Weise thematisiert: In medizinischer Bedeutung stellt sie den Wende- oder Scheitelpunkt einer Krankheit dar, zur Gesundung oder zum Tod.
In ihrer Psyche durchlaufen die meisten Menschen während des Lebens immer wieder Krisen. In der Kinder- oder Entwicklungspsychologie sind es die frühkindlichen Trotzphasen, in der Reifezeit die Pubertät und auch im Klimakterium treten kritische Phasen auf, nicht zu vergessen die oft zitierte Midlife Crisis zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr. Mit Krise meinte man im 18. Jahrhundert in der Aufklärungsphilosophie die Fähigkeit zu philosophischem Urteil.
Dennoch ist Krise eher ein moderner Begriff, der erst ab dem 19. Jahrhundert verstärkt gebraucht wird. Die damals neu entstandene Soziologie verwendet ihn ebenso wie später die Wirtschaftswissenschaften, die Ökologie und die Systemtheorie. Eine Krise beinhaltet immer auch einen Appell zum Handeln.
Rainer Forst, Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität: „Gesellschaftliche Krisenzeiten bringen ihre eigene, verdichtete Zeitlichkeit mit sich, angespannt zwischen Bangen und Hoffen. Krisen sind Zeiten, in denen deutlich wird, dass es nicht weitergeht wie bisher; zugleich ist die neue Form des Lebens, die entstehen wird, noch nicht sichtbar. [Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll.] Bewusst wird aber, dass man diesen Prozess kaum steuern kann. Die Pandemie ist eine Krise mit immens gesteigerter, allgegenwärtiger Ohnmachtserfahrung. Das Wort ‚Lockdown‘ steht dafür: Die Welt soll stillstehen, und die Zeit erscheint wie eingefroren. Das ist schon irritierend genug, aber dazu kommt die Angst vor der unsichtbaren Gesundheitsbedrohung, die überall lauert, wo man sein Schneckenhaus verlässt. Die Verzweiflung durch existentielle Notlagen, in die man gerät, wenn man drinnen bleibt, wächst ebenfalls. Ob dieses Schockfrostens breitet sich Verunsicherung aus; die Ungewissheit wird zum Existenzmodus. Dies wirkt sich auf die Zeitempfindung aus. Alle hoffen auf das Auftauen dieser eingefrorenen Zeit, aber die dunkle Ahnung drängt sich auf, dass die Zukunft so viele Unbekannte enthält, dass die Vergangenheit umso attraktiver leuchtet. Das kann der Beginn einer reaktionären, der Zukunft abgewandten Zeit sein. Vielleicht aber auch einer des Fortschritts, in der Solidarität als Praxis fortbesteht. Dass man es nicht weiß, macht frösteln.“
Es scheint unmöglich eine Prognose zu stellen, wann diese Gesundheitskrise vorbei sein wird und wann und ob wir überhaupt „unser altes Normal“ zurückbekommen. Werden wir Corona je wieder loswerden? Wie sich zeigt, ist die Impfung in Verbindung mit Beibehaltung der Corona-Regeln ein guter Weg. Er bedeutet bei einer – trotz Impfung – möglichen Erkrankung einen leichteren Verlauf mit nur selten tödlichem Ausgang. Nach der Corona-Pandemie wird eine neue Epoche beginnen, vergleichbar mit den 1920er Jahren, meint der russische Schriftsteller Wladimir Lewtschew: „Nach dem Krieg und der Pandemie [der Spanischen Grippe] begannen in den 1920er Jahren das Jazz-Zeitalter, die 'Roaring Twenties' - ein Jahrzehnt wirtschaftlichen Wohlstands, von Partys, Bars, Unterhaltung, sorglosem Leben. ... Ich gehe davon aus, dass dies nach dem Ende der Covid-19-Pandemie ebenfalls geschehen wird. ... Wir wissen jedoch, dass das Jazz-Zeitalter am Ende der 1920er Jahre mit der Weltwirtschaftskrise und zehn Jahre später mit dem Zweiten Weltkrieg endete. Ich hoffe, dass das 21. Jahrhundert, das Zeitalter der künstlichen Intelligenz, klüger sein wird als das vorige.“
Gibt es eine Post-Corona-Ära?“ und „Wie können Krisen die Zukunft verändern?“ waren meine Ausgangsfragen. Der Philosoph Peter Vollbrecht beschäftigt sich in seinem Corona-Tagebuch mit einem denkwürdigen Ausspruch von Søren Kierkegaard (1813 - 1855), dem dänischen Religionsphilosophen. "Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.“ Neben Hegel, Marx und Nietzsche zählt der Däne Søren Kierkegaard[1] zu den wichtigsten Philosophen des 19. Jahrhunderts. Vollbrecht schreibt, es sei ganz wahr, was der Philosoph meine, dass das Leben rückwärts verstanden werden müsse. Aber darüber vergisst man den anderen Satz, dass vorwärts gelebt werden soll. Vorwärts zu leben, das beutet auch immer, sich ins Unbekannte zu bewegen.
Doch lesen Sie selbst den Text von Peter Vollbrecht:
„Sich zum Unbekannten zu bekennen, gilt dem philosophischen Bewusstsein seit jeher als Quell menschlicher Freiheit. Was wäre das Leben wert, gäbe es für uns nicht die Zonen der Unverfügbarkeit, die in gläubigeren Zeiten dem Willen und dem Wissen eines Gottes anheimgestellt wurden? Heute dagegen beherrscht die Menschheit das mathematische Geheimnis der Reihenberechnung, mit der von verlässlichen Daten aus auf die pandemischen Verläufe geschlossen werden kann. Mathematisch, so scheint es, ließe sich das Infektionsgeschehen konturenscharf berechnen – gäbe es da nicht das menschliche Verhalten, das trotz ausgeklügelter Algorithmen nicht wirklich in die Modelle eingepreist werden kann. Das Leben entzieht sich immer wieder der Kontrolle, flüchtet in private Räume oder bleibt undiszipliniert trotz Ordnungsgeld. Unvernünftig sei solches Verhalten, ja verantwortungslos, und an diesem Urteil wäre kaum zu rütteln, gäbe es da nicht den Verdacht, dass vernünftig heißt, sich den Gleichungen der Mathematik zu unterwerfen. Gewiss: es geht um Menschenleben, und jeder einzelne Tod streut Leid tief hinein in die Familien. Es geht um den Kampf der Ärzte auf den Intensivstationen, um Doppelschichten der Pflegekräfte, es geht um die Corona-Generation in Schule und Hochschule, und es geht auch um die vielfachen Tode derjenigen Wirtschaftszweige, die im Lockdown mit Berufsverboten belegt sind. Die Liste der Opfer ist lang, und da klingt es zynisch, den Verdacht zu äußern, die derzeit allseits angeratene Vernunft käme einer mathematischen Ordnungsmacht gleich. Nichts als ein philosophisches Sandkastenspiel, frivol und eben unverantwortlich?“
Im Corona-Essay Nr. 3 habe ich berichtet von Mark Aurel (121-180 n. Chr.), der von 161 bis 180 Kaiser des Großrömischen Reiches war und der „stoische Philosophenkaiser“ genannt wurde, weil er als Philosoph sich mehr für die griechische Philosophie interessierte als Kriege zu führen. Mark Aurel gab in schwierigen Zeiten von Kriegen, Naturkatastrophen und Epidemien immer seinem Volk Hoffnung, Trost und Unterstützung. Und er hatte die gewaltige Aufgabe seinem Volk beizustehen während der Antoninischen Pest, einer der ältesten, historisch überlieferten Pandemien. Der „Philosophenkaiser“ hat ein Tagebuch verfasst mit dem Titel „Selbstbetrachtungen“. Trotz des sich abzeichnenden Niedergangs des Römischen Reichs strebte er unermüdlich nach Selbstbesinnung und stoischer Gelassenheit. Auch 2000 Jahre nach ihrer Entstehung sind die Selbstbetrachtungen von Mark Aurel eine zeitlose Aphorismen-Sammlung und auch heute noch anwendbar für jeden, der inneren Frieden finden und ein ausgeglichenes Leben führen will. Neben Seneca und Epiktet gilt Mark Aurel als wichtigster Vertreter der späten Stoa, einer philosophischen Strömung der Antike. Alle haben Schriften verfasst, die in neuen Übersetzungen und Ausgaben bis zum heutigen Tag im Buchhandel erhältlich sind: Epiktet: „Über die Kunst der inneren Freiheit: Alte Weisheiten für ein Leben nach der Stoa“, Seneca: „Vom glücklichen Leben“. Zitat Seneca: „Das höchste Ziel eines Menschen sollte es sein, durch innere Gelassenheit glücklich zu sein. Es kommt nicht auf die Dinge, sondern auf die Einstellungen zu ihnen an.“
Ein neues Buch erschien im November 2020, mitten in der Corona-Pandemie von William B. Irvine: „Eine Anleitung zum guten Leben: Wie Sie die alte Kunst des Stoizismus für Ihr Leben nutzen“. Alle Bücher erlebten während der Corona-Pandemie wachsende Verkaufszahlen und stehen in Bestsellerlisten. Zu Beginn haben wir uns gefragt „Gibt es eine Post-Corona-Ära?“ und „Wie können Krisen die Zukunft verändern?“ Schon jetzt möchte ich eine Antwort wagen. Ja, es gibt eine Post-Corona-Ära und ja, wir können die Zukunft verändern. Wie diese neue Zeit nach Corona aussehen wird, hängt von uns ab, von jedem Einzelnen. Für mich gilt der philosophische Weg mit der Stoa im Mittelpunkt, als eines der wirkungsmächtigsten Lehrgebäude der abendländischen Philosophie-Geschichte. Bei den Vertretern der späteren Stoa, Seneca und Epiktet, findet man als besonderes Merkmal eine kosmologische, auf Ganzheitlichkeit der Welterfassung gerichtete Betrachtungsweise. In allen Natur-erscheinungen sei ein universelles Prinzip enthalten. Für den Stoiker als Individuum gelte, seinen Platz in dieser Ordnung zu erkennen und auszufüllen, indem er durch emotionale Selbstbeherrschung sein Los zu akzeptieren lernt und mit Gelassenheit und Seelenruhe nach Weisheit strebt. Zugegeben, ein nicht einfacher Weg.
Bei Wikipedia ist zu lesen:
Die Lebensbedingungen des antiken Menschen waren durch einen schwer erträglichen Alltag geprägt. Laut den Erzählungen Homers und Hesiods waren Leid und Schmerz, Gewalt, Krieg, maßlose Neigungen und unmenschliches Handeln charakteristische Merkmale. Im Gegensatz dazu stand das menschliche Bedürfnis, ein angenehmes Leben (Eudaimonie) führen zu wollen. Durch die Entwicklung einer gelassenen Einstellung (Ataraxie) folgte man diesem Bedürfnis: Daher bezeichnet in der griechischen Antike Ataraxie eine erwünschte, ideale Lebenseinstellung, das unberechenbare Handeln der Götter bzw. Ereignisse des Schicksals gelassen und ruhig akzeptieren zu können, wie von Epiktet (50–138 n. Chr.) u. a. erwähnt. Die antiken Dichter empfahlen ihren Zeitgenossen, das Leben so zu nehmen, wie es kommt, ohne sich von falschen Hoffnungen oder Furcht vor den Göttern in die Irre führen zu lassen.
Das erinnert an das Gelassenheitsgebet des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr.
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Der philosophisch-geistesgeschichtliche Hintergrund des Gebets ist unverkennbar. Gleich im ersten Satz seines „Handbüchlein der Moral“ unterscheidet Epiktet: „Das eine steht in unserer Macht, das andere nicht. In unserer Macht stehen: Annehmen und Auffassen, Handeln-Wollen, Begehren und Ablehnen – alles, was wir selbst in Gang setzen und zu verantworten haben. Nicht in unserer Macht stehen: unser Körper, unser Besitz, unser gesellschaftliches Ansehen, unsere Stellung – kurz: alles, was wir selbst nicht in Gang setzen und zu verantworten haben.“
Friedrich Schiller äußert sich in seinem Essay „Über das Erhabene“ zum gleichen Thema:
Wohl dem Menschen, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann,
und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann.
Das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main schreibt auf seiner Homepage einen sehr interessanten Beitrag zum Thema „Megatrends in die Post-Corona-Zeit“. „Wenn wir den Blick über den Tellerrand der aktuellen Virus-Krise lenken, empfangen wir unklare Bilder der Zukunft. Wir ahnen: Vieles wird anders. In vier Szenarien hat das Team des Zukunftsinstituts die Möglichkeitsräume ausgeleuchtet. Dies kann helfen, das Kommende zu antizipieren. Szenarien nehmen die Zukunft aber nicht vorweg, sie geben uns Hinweise auf das, was möglicherweise zu unserer neuen Zukunft wird.“
Die Coronakrise hat eine andere Bedeutung als beinahe alle anderen Krisen nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist eine Krise, in der es in erster Linie um Menschenleben geht. Um Krankheit und Gesundheit, um Leben und Tod. Die Zahlen sind erschreckend – 4,1 Millionen Infizierte und 93 000 Tote. Christian Geinitz schreibt in der FAZ (23.09.2021): Möglicherweise wären die Zahlen höher, wenn nicht das öffentliche Leben herunter gefahren und strenge Regeln erlassen worden wären. Seit Frühjahr 2020 stehen nicht nur Wirtschaft, Politik und Gesellschaft unter erheblichem Druck, auch der Alltag von Milliarden Menschen rund um den Globus hat sich massiv verändert. Mehreren Millionen Corona-Opfern und erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Schäden stehen gesellschaftliche Solidarität, ein Digitalisierungsschub und faszinierende Innovationserfolge wie die frühzeitige Entwicklung von Impfstoffen gegenüber.“
Man kommt am Thema Impfung nicht vorbei. In diesem Essay habe ich diesen Begriff schon sechsmal verwendet. Das Leben kommt partiell wieder zum „alten Normal“ zurück, dank der Impfstoffe, die in der westlichen Welt im Übermaß vorhanden sind. Impfzauderer sollen durch „niederschwellige“ Angebote auf Supermarktparkplätzen, an Tankstellen und öffentlichen Plätzen, auch durch Aktionen wie „Impfwoche“ Angebote erhalten und ermuntert werden, auch aus Fürsorge für ihre Angehörigen, Freunde und Mitmenschen sich impfen zu lassen.
In einem ZEIT ONLINE-Interview wurde die französische Philosophieprofessorin Corine Pelluchon gefragt, worüber sie gerade nachdenke.
Hier ihre Antwort, die mich nachdenklich stimmt:
Ich denke darüber nach, dass die Pandemie uns dazu einlädt, Inventur zu machen. Sie eröffnet uns die Gelegenheit, die Bestände unserer Lebensform sorgsam zu sichten, Stück für Stück – und zu überlegen, was wegkann, weil es überholt ist, und was künftig gebraucht wird. Wir stehen in unserem Zusammenleben mit den anderen Kreaturen an einem Scheideweg, das spüren in dieser Pandemie die meisten. Damit meine ich nicht nur unsere Art, uns zu ernähren und Landwirtschaft zu betreiben, sondern im weiteren Sinne unsere Art, als Lebewesen diese Erde zu bewohnen und sie miteinander zu teilen.
Meinen Essay beende ich mit einem Ausflug in die Finanzwelt. Was hat das mit Corona zu tun? Wer mit dem Kapitalmarkt etwas vertraut ist, weiß, dass die Börse ein zuverlässiges Barometer für die Weltwirtschaft und Finanzmärkte ist. Sie zeigt negative und positive Entwicklungen frühzeitig an. Der Börsenhandel hat viel mit Psychologie zu tun. In zahlreichen Diplomarbeiten und Dissertationen wurden psychologische Grundlagen des Anleger- und Entscheidungsverhaltens schon untersucht. Sicher kennen viele auch das nicht ganz ernst gemeinte Börsen-Bonmot „Wenn Amerika hustet, bekommt Europa die Grippe.“
Schauen wir einmal nicht auf die institutionellen Wertpapieranleger, sondern auf die vielen Privatanleger. Laut dem Deutschen Aktieninstitut engagierten sich im Corona-Jahr 2020 beinahe so viele Menschen an der Börse wie zuletzt um die Jahrtausendwende. Im Vergleich zu 2019 sparen jetzt rund 2,7 Millionen mehr Menschen in Aktien, Aktienfonds oder aktien- und anleihebasierten börsengehandelten Indexfonds (ETF Exchange Traded Fund). Knapp 12,4 Millionen Teilnehmer sind am Aktienmarkt engagiert. Damit hat etwa jeder Sechste in Aktien investiert. Das entspricht 17,5 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren. 2020 entdeckte vor allem auch die Jugend die Börse für sich. Fast 600 000 Erwachsene unter 30 Jahren wagten sich auf das Börsen-Parkett – eine Steigerung um fast 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das ist der mit Abstand kräftigste Anstieg in allen Altersgruppen. Die Gründe für das Erwachen einer neuen „Generation Aktie“ sind vielfältig. Attraktive Smartphone-Apps, mit denen man seine Anlagen überwachen kann, Neugier, frei gewordene Zeit im Lockdown und Homeoffice. Günstige Einstiegskurse im Frühjahr haben auch ihren Teil zum Anstieg beigetragen.
Die ARD-TV-Sendung „Börse vor acht“ verzeichnet einen Zuschauerrekord. Die sympathische Börsen-Moderatorin Anja Kohl berichtete Ende September über einen enormen Aufschwung der Deutschen Wirtschaft:
„Unternehmen erzielen wieder hohe Gewinne, sie kommen weiterhin ultragünstig an Kredite, wofür die Notenbanken mit ihrer Nullzinspolitik sorgen. Geld ist bei vielen Unternehmen wirklich reichlich vorhanden. Sie investieren es, endlich, kann man sagen. Nach einem Jahrzehnt Investitionsflaute stecken die Firmen wieder Geld in Forschung, Entwicklung und in die Umgestaltung ihrer Geschäftsmodelle, ein weltweites Phänomen. Überall fahren Unternehmen ihre Investitionen drastisch hoch, um 13 Prozent dürften sie dieses Jahr steigen, insgesamt werden wohl 3 100 Milliarden Euro in die Zukunft investiert, sie wird digitaler und klimaneutraler. Da, wo der Schuh drückt, setzen sie das meiste Geld ein. 32 Prozent mehr um den Halbleitermangel zu beheben, sich Computerchips zu sichern, die sie künftig brauchen, um erfolgreich zu bleiben. Im Einzelhandel fließt das Geld vor allem in den Ausbau des Onlinegeschäftes, in Software, und im Bereich Verkehr investieren Unternehmen dieses Jahr jeweils ein Fünftel mehr. Beide Dinge gehören mittlerweile zusammen. Kein neues E-Auto fährt mehr ohne neue Software. Interessant ist, welche Firmen das meiste Kapital aufwenden. An Nummer eins der Onlinehändler Amazon, dann der Smartphone Gigant Samsung, doch auch Ölkonzerne wie PetroChina und Saudi Aramco stecken Rekordsummen nicht etwa ins alte, dreckige Öl, sondern in den Ausbau erneuerbarer Energien. Unter den deutschen großen Unternehmen investieren am meisten die Telekom und der VW-Konzern, der damit den Umbau zur Elektromobilität vorantreibt. Forscher rechnen mit dem stärksten Zuwachs beim Konsum seit der Wiedervereinigung, weil die Menschen nach Corona beim Kaufen so viel Nachholbedarf haben. Welche Regierung in Deutschland demnächst das Sagen hat, sie startet mit einem Konjunkturboom.
Meine Philosophiefreundinnen und Freunde mögen mir diesen Ausflug in die Wirtschafts- und Finanzwelt verzeihen. Dazu muss man die Börse nicht unbedingt verstehen, wichtig ist der positive Blick in die Zukunft.
Auch eine Mitteilung der Ärzte Zeitung (https://www.aerztezeitung.de/) rechne ich zu den guten Nachrichten: „Vierte Corona-Welle ebbt weiter deutlich ab, die SARS-CoV-2-Infektionen gehen zurück: Jetzt nur nicht leichtsinnig werden, warnen die Laborverbände mit Blick auf die politische Themen- und Gemengelage nach der Bundestagswahl.“
Mein dereinst letzter Corona-Essay wird als Epikrise (griech. epi = nach; Krisis = hier Beurteilung) geschrieben werden. Die Epikrise ist uns geläufig aus dem medizinischen Bereich als zusammengefasster Rückblick und Interpretation eines Krankheitsgeschehens, etwa als Entlassungsbericht aus dem Krankenhaus. Meine Corona-Epikrise wird dann die Irrungen und Wirrungen dieser Zeit und das große Leid der Menschen beschreiben, aber auch die positiven Ereignisse, Erkenntnisse und wertvolle Neuerungen darstellen. Ich sehe diesem Tag erwartungsvoll entgegen.
Ich freue mich sehr, wenn Sie die Rundmail weiterleiten. Gerne können Sie mir auch Ihre Kommentare senden.
Bleiben Sie gesund und optimistisch!
Dieter Heymann
www.dieter-heymann.de | info@dieter-heymann.de
Am 18. Oktober 2021 um 16:30 Uhr stelle ich mein Buch „HEINRICH Geschichte einer Kaufmannsfamilie“ vor in der Senioren-Residenz Wohnpark Kranichstein, Borsdorffstraße 40, in Darmstadt-Kranichstein im großen Vortragsraum im 1. Obergeschoss. Externe Besucherinnen und Besucher sind herzlich willkommen. Es gilt die 2-G-Regel, geimpft oder genesen, was am Eingang nachzuweisen ist. Für die öffentliche Veranstaltung ist keine Anmeldung erforderlich.
Corona-Essay (7) von Dieter Heymann
„Meine Gedanken hinter den Nachrichten“ 7. September
2021
Geradezu gebetsmühlenartig verweise ich wie im tibetanischen Lamaismus auf die von selbst wirkende Kraft der Worte. „Um fröhlich zu altern braucht es ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung und Kommunikation“. Die Corona-Pandemie verhinderte meine Kommunikation. Ich konnte keine Vorträge mehr halten bei der Akademie 55plus und in dem Schlösschen im Prinz-Emil-Garten, und auch die von mir organisierte Vortragsreihe im Auftrag der Akademie im Wohnpark Kranichstein konnte nicht mehr stattfinden. Die öffentlichen Lesungen meiner Bücher kamen gleichermaßen zum Stillstand. Mein zuletzt erschienenes Buch „HEINRICH Geschichte einer Kaufmannsfamilie“, das im Dezember 2020 erschienen ist, wurde bisher nur im kleinen Kreis vorgestellt, ist aber nach dem Bestseller „Fröhlich altern“, das schon 2014 veröffentlicht wurde, das Buch mit der zweitstärksten Auflage.
Bewegung und gesunde Ernährung, diese beiden wichtigen Kriterien für ein „fröhliches Altern“ waren auch in Corona-Zeiten möglich. Für den dritten Punkt, die Kommunikation, erfand ich mit meinen Corona-Essays als Rundmail, eine sehr gute Lösung. Menschen, mit denen ich lange keinen Kontakt mehr hatte, meldeten sich plötzlich telefonisch oder per Mail, sogar mit handgeschriebenem Brief. Das erfüllt mich mit Freude und Genugtuung. Was gibt es Schöneres als interessante Gespräche, wie ich gerade eines hatte mit einem alten Freund aus der Volksschule.
Heute möchte ich Ihnen Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer vorstellen. 1958 in Lengfeld bei Darmstadt geboren, studierte Medizin, Psychologie und Philosophie in Freiburg, wo er sich auch zum Psychiater weiterbildete und die Habilitation für das Fach erlangte. Er ist ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, an der er auch die Gesamtleitung des 2004 dort eröffneten Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) innehat, das sich vor allem mit Neurodidaktik beschäftigt. Prof. Spitzer gehört derzeit zu meinen Lieblingsautoren. Doch lesen Sie selbst, es folgt ein Ausschnitt aus einem Artikel in den Westfälischen Nachrichten. Spitzer drückt sich klar und verständlich aus, ohne jeglichen akademischen Dünkel:
„Ein Gehirn verkümmert, wenn man es nicht nutzt, sondern nur berieseln lässt. […] Schon die alten Griechen verfügten über klare philosophische Erkenntnisse für ihr Denken und Handeln: So sind als apollonische Weisheiten die am Eingang des Apollo-Tempels in Delphi angebrachten Aphorismen „Erkenne dich selbst“ (gnōthi seauton) und „Nichts im Übermaß“ (mēden agan) bekannt. Eine Richtschnur für alles, was der Mensch anstellt. Wer nur Groschenhefte liest, verblödet. Wer jahrelang „Big Brother“ glotzt und dabei Chips auf dem Sofa mampft, wird grenzdebil und fett. Wer seinen Körper nicht bewegt, weil er permanent im Keller an seiner Modellbahn herumschraubt, wird teigig um die Hüften und fahl im Gesicht. Wer keine sozialen Kontakte pflegt, driftet in eine gefährlich-brutale Scheinwelt ab. Wer nichts lernt und sich nicht geistig fordert, hat keine besonders große Fallhöhe zu späterer Demenz.“ (Westfälische Nachrichten)
Der Hirnforscher rät zu gesunder Ernährung, Bewegung, Aufmerksamkeit, Hilfsbereitschaft, Musikhören, Singen, guten Gesprächen in wirklichen sozialen Begegnungen und nicht nur in vermeintlich
realen Facebook-Welten.
Die gerade wieder steigenden Corona-Infektionen deuten auf eine vierte Welle hin. Die Neuinfektionen treffen vorwiegend jüngere Menschen. Amerikanische Unternehmen haben für Personen, die nicht aus medizinischen Gründen von einer Impfung befreit werden können, eine Impfpflicht eingeführt. An vielen Hochschulen in Deutschland soll ein Präsenzstudium im Wintersemester wieder stattfinden, aber nur bei einer entsprechend hohen Impfquote. Von einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland spricht zurzeit niemand, dennoch wird auf eine moralische und ethische Verpflichtung hingewiesen.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagte, Geimpfte und Genesene könnten nicht dauerhaft allen Beschränkungen unterworfen werden, die für Nichtgeimpfte gelten müssen, um die Pandemie zu bekämpfen. Er sehe auch keine verfassungsrechtlichen Probleme für eine unterschiedliche Behandlung. Schäuble mahnte, die Menschen sollten sich stärker mit der Frage auseinandersetzen, welche Folgen eine Impfverweigerung für die Mitmenschen und sich selbst hätte. Die Politik will einem starken Impfanreiz setzen durch kostenpflichtige Tests für alle Ungeimpften ab Oktober 2021. Ausnahmen sollen nur für Personen gelten, die nicht geimpft werden können. Urlauber ohne vollständige Covid-19-Impfung benötigen schon seit August 2021 bei der Rückkehr einen negativen PCR- oder Antigen-Schnelltest auch aus Nicht-Risikogebieten. So soll verhindert werden, dass Urlauber Corona-Infektionen mit nach Hause bringen.
Ursprünglich war Bundesgesundheitsminister Jens Spahn davon ausgegangen, dass wir bis Anfang September zu 85 Prozent geimpft sind und eine Herdenimmunität besteht. Zurzeit liegt die Impfquote erst bei 61 Prozent und es wird noch eine Zeit dauern bis das Ziel erreicht ist. Spahn plant, dass die regionale Belegung von Krankenhäusern mit Covid-19-Patienten das wesentliche Kriterium sein soll, um das Ausmaß der Pandemie zu bewerten. Entscheiden müssen dann die Länder, weil sie die Lage am besten beurteilen können. Die Hospitalisierungsinzidenz wird seit Ende Juli vom Robert-Koch-Institut schon ausgewiesen, und die Zahl der Intensivpatienten wird ebenfalls vom RKI täglich veröffentlicht. Fachleute gehen davon aus, dass der Gesundheitsminister noch vor der Wahl die neuen Indikatoren, bestehend aus Inzidenz, Hospitalisierung und Intensivbelegung benennen wird. Doch wie diese Angaben in eine neue Formel gegossen werden kann, wird keine leichte Aufgabe werden. Für die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek bleibt die Inzidenz ein wichtiger Parameter, zusammen mit der Krankhausbelegung oder der Belegung der Intensivstationen.
Mit Hochdruck wird weltweit geforscht an Medikamenten, die beim Kampf gegen die Krankheit helfen. Bei meinen Recherchen fand ich fünf Pharmafirmen, die bei der Entwicklung schon weit vorangeschritten sind und mit deren Präparaten Covid-19-Erkrankte bald behandelt werden können. Bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA sollen schon Verfahren für die Zulassung der Mittel laufen.
Im letzten Corona-Essay berichtete ich über das Telefonat mit meinem professoralen Freund in Kalifornien. Er erzählte mir von dem amerikanischen Radiomoderator Phil Valentine aus Nashville/Tennessee, der sich über die Notwendigkeit einer Corona-Impfung in seinen Sendungen lustig machte. Er hielt es nicht für nötig, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. In seinen Sendungen wies er auf „wirksame Alternativen“ zur Impfung hin und beeinflusste damit viele seiner Zuhörer. Bei einem starkem Immunsystem und keinerlei Vorerkrankungen stufte er das Risiko am Coronavirus zu sterben für sich selbst als sehr gering ein. Phil Valentine wurde überrascht von einer Covid-19 Infektion und ins Krankenhaus eingeliefert. Vier Wochen wurde er auf der Intensivstation beatmet. Nun ist er an den Folgen seiner Corona-Infektion mit 61 Jahren gestorben. „Diese Nachricht machte ungeheuer schnell die Runde und viele Amerikaner sehen darin den Beweis, dass die Impfgegner auf der falschen Seite stehen“, meint mein Freund. Die Anzahl der Neuinfektionen in den Vereinigten Staaten wurde zuletzt 7 Tage mit rund 155 000 pro Tag erfasst. Bislang wurden 205 Millionen COVID-19 Erstimpfungen durchgeführt. Dies entspricht 62 Prozent der Bevölkerung. Vollständig geimpft ist etwa die Hälfte der Bevölkerung. Die Vereinigten Staaten werden als "Hochrisikogebiet" eingestuft.
Im Corona-Essay Nr. 3 (kann auf meiner Homepage nachgelesen werden) habe ich Sie mitgenommen auf eine Zeitreise in die Amtszeit des römischen Kaisers Mark Aurel von 121 bis 180 n.Chr. Er war von 161 bis 180 Kaiser des Großrömischen Reiches. In diesem Zusammenhang komme ich auf die Diskussion der Frage zurück, ob es eine Post-Corona-Ära geben wird und wie die Corona-Pandemie die Zukunft
verändern wird.
Wir sind froh und dankbar, dass dank der Entwicklung von Impfungen und Medikamenten Corona heute nicht mehr zwanzig Jahre dauern wird, wie die Antoninische Pest um 170 n.Chr. im römischen Reich. Damals musste das Volk des Philosophenkaisers eine Missernte nach der anderen verkraften und der Kaiser war ständig in Verteidigungskriege verwickelt. Mark Aurel machte sich viele Gedanken darüber, wie man in dieser schwierigen Zeit Stärkung findet und schrieb den Klassiker der stoischen Philosophie mit dem Titel „Selbstbetrachtungen[1]“. Obwohl er Römer war, benutzte er die Sprache der griechischen Philosophen. Die antike Philosophenschule der Stoa wurde um 300 vor Christus in Athen gegründet und bestand mehr als 500 Jahre. Sie sah ihre Hauptaufgabe darin, den Menschen zu zeigen, wie sie glücklich werden können, und zwar aus eigener Kraft, dauerhaft und zuverlässig. Die Stoiker waren die ersten Philosophen in Griechenland und später auch in Rom, die den Menschen die Furcht vor den Göttern nehmen wollten. Es begann mit der Abwendung vom Polytheismus, in dem viele Götter verehrt werden, hin zum Monotheismus, in dem ein allumfassender Gott waltet. Die Lebenskunst der Stoa bestand in Gelassenheit und stillem, innerem Glück. Von einem Menschen, der etwas, das nicht zu ändern ist, ohne zu murren gleichmütig hinnimmt, sagt man, er verhält sich „stoisch“. Man kann es auch entspannt und ausgeglichen nennen oder „cool“.
Eine andere positive Nachricht, der 90. Geburtstag der Schauspielerin, Ärztin und Autorin Dr. Marianne Koch. Beim Kölner Treff im WDR konnte ich sie live erleben und das war ein Genuss pur. Ihr neuestes Buch „Alt werde ich später: Neue Wege, um geistig und körperlich fit zu bleiben“ ist zu ihrem Geburtstag erschienen und hat es schon auf die Bestsellerlisten geschafft. Marianne Koch war vierzig, als sie ein neues Leben anfing. Sie schloss ihr Medizinstudium ab, das sie vor ihrer Schauspielerinnen- Karriere unterbrochen hatte. Es folgten einige Jahre an Kliniken mit der Facharztprüfung zur Internistin, anschließend Eröffnung einer eigenen Praxis am Starnberger See. Beim Klang ihrer Stimme konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie tatsächlich 90 Jahre alt ist. Auf ihr neues Buch angesprochen, verwies sie auf die längere Lebenszeit unserer Generation und dass man diese wahrnehmen müsse und gestalten sollte. Auch sie habe sich in ihrem neuen Buch Gedanken darüber gemacht, wie das gehen könnte. Man habe nicht mehr die Verpflichtungen des Alltages und sollte die Chance für etwas Neues nutzen, etwas anders zu machen oder das zu tun, was man vielleicht immer schon einmal machen wollte. Die Frage der Moderatorin, ob sie etwa ein Gesundheitsapostel sei, verneinte sie heftig. Sie wolle auch kein Vorbild sein. Wichtig sei ihr, die neuen Erkenntnisse der Medizin weiter zu vermitteln. Und das tut sie wöchentlich mit anderen Spitzenmedizinern im Bayerischen Rundfunk. Das ist ihr sehr wichtig. Nach ihrer Meinung ist „Wissen die beste Medizin“. In ihrem Buch schreibt sie zum Thema „Einsamkeit im Alter“. Die Moderatorin bat Marianne Koch darauf einzugehen, weil gerade das eine große Gefahr für ältere Menschen bedeute, das aber auch viele Jüngere in der Corona-Zeit zu spüren bekamen. Marianne Koch zitierte zu dem Thema Alterseinsamkeit aus einem Buch von Noreena Hertz, einer britischen Ökonomin, Hochschullehrerin am Institute for Global Prosperity des University College London mit dem Titel „Das Zeitalter der Einsamkeit: Über die Kraft der Verbindung in einer zerfaserten Welt“, das im März 2021 erschienen ist. Aufgrund der herrschenden Umstände sei es so, dass wir uns nicht mehr um andere kümmern, sondern um uns selbst. In einer Art selbstverständlicher Egoismen vereinsamen viele Menschen, die sich nicht um andere kümmern. Mit dem Älterwerden erleben wir den Verlust von Freunden, von Menschen aus der Familie oder gar den Partner. Man zieht sich zurück und vereinsamt. Hertz hält diese Einsamkeit für eine große Gefahr. Viele Altersforscher sind der Meinung, dass es sich um die schlimmste aller Alterskrankheiten überhaupt handelt. Wir kommen aus dieser Krankheit nur heraus, wenn wir uns um andere Menschen kümmern. Die letzte Frage an Marianne Koch in diesem Interview und ihre Antwort möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: „Wovor haben Sie Angst, haben Sie Angst vor dem Tod?“ „Ich habe keine Angst vor dem Tod, nein, aber ich habe das unglaubliche Glück, dass ich noch sehr selbstständig lebe, Auto fahre und selbst noch alles tun kann. Doch vor dem Verlust meiner Selbständigkeit habe ich Angst. Ich weiß, dass es irgendwann kommt, dann muss ich es akzeptieren.“
Zurück zu dem Pandemiegeschehen und was wir daraus lernen konnten. Seit dem Ausbruch der „Spanischen Grippe“ nach dem Ersten Weltkrieg sind über 100 Jahre vergangen. Ein Drittel der damaligen Weltbevölkerung war infiziert, 50 Millionen Menschen starben. Besonders hoch war die Sterblichkeit bei Kindern und jüngeren Menschen. Dies gab es bisher bei keiner anderen Pandemie, es starben sonst immer die Älteren und Alten. So schnell wie nie zuvor wurden für Corona-Viren Vakzine entwickelt und zur Verfügung gestellt. Es gibt keinen Mangel mehr an Impfstoffen. Deshalb ist kaum verständlich, warum das Impfgeschehen zurzeit stagniert. Im Mai wurden 1,3 Millionen Menschen pro Tag in Deutschland geimpft, vor einer Woche waren es gerade einmal 300 000. Wir müssen uns weiterhin an Coronaregeln und Einschränkungen halten. Wie lange kann derzeit niemand sagen. Die Pest grassierte mehr als zwanzig Jahre. Heute hoffen wir, dass mit Durchimpfung und Entwicklung wirksamer Medikamente das Virus im Frühjahr/Sommer 2022 „im Griff“ zu haben.
Stellen wir uns einmal vor, die Corona-Pandemie wäre am Abklingen und wir fragten uns rückblickend, wie wir selbst die vergangene Zeit bewältigt haben. Ich habe zum Beispiel bei meiner täglichen Meditation eine neue Tür aufgestoßen, zu einem Raum vielfältiger neuer Erkenntnisse, die ich in meinen Corona-Essays beschrieben habe. Eine geführte Meditation finden Sie auf meiner Homepage.
Zurzeit bereite ich einen Vortrag vor mit dem Thema „Gibt es eine Post-Corona-Ära“? Wie können Krisen die Zukunft verändern?“ Kehren wir in einer Post-Corona-Ära in das „alte Normale“ zurück? Veränderte die Krise die Welt und uns mit? Gemeinsam mit den Besucherinnen und Besuchern des Vortrages möchte ich darüber nachdenken, was wir alle tun können, dass die Reise in die Zeit nach Corona gelingen möge. Wir sollten uns nie mehr von einer Pandemie so hilflos überrollen lassen. Termin ist der 17. November 2021 um 18:30 Uhr im Vortragsraum der Akademie 55plus in der Heidelberger Straße 89 in Darmstadt. Mitglieder können sich über das Internetportal www.aka55plus.de anmelden. Sollte es noch freie Plätze geben, können auch Nichtmitglieder daran teilnehmen, die unter info@dieter-heymann.de nachfragen können.
Der schon zuvor erwähnte Manfred Spitzer fordert in seinem Buch „Pandemie | Was die Krise mit uns macht und was wir aus ihr machen“ „Das Leben muss nicht in jeder Hinsicht (Ressourcenverbrauch, Flugreisen, sinnlose Events und vor allem immer schneller, höher, weiter) wieder genauso werden, wie es vorher war! Setzen wir uns alle dafür ein, dass es bewusster, nachhaltiger und solidarischer wird.“
Ich freue mich sehr, wenn Sie die Rundmail weiterleiten. Gerne können Sie mir auch Ihre Kommentare senden.
Bleiben Sie gesund und optimistisch!
Ihr Dieter Heymann
www.dieter-heymann.de |
info@dieter-heymann.de
Corona-Essay (6) von Dieter Heymann
„Meine Gedanken hinter den Nachrichten“ 12. August 2021
Nach dem Versand des letzten Essays sind wieder Zuschriften mit Kommentaren, Fragen und Vorschlägen eingegangen. Vielen Dank, ich freue mich auf jede Reaktion und möchte hier speziell auf eine eingehen.
Ein Freund schreibt: „Deine Essays zum Thema Corona sind ja sehr lesenswert und machen nachdenklicher, als wenn man nur die Nachrichtenmeldungen liest, wo das Thema ja eines unter vielen ist, und daher schnell überlagert wird durch nachfolgende Meldungen. Wie wäre es, wenn du ähnliche Essays zum Thema Klimawandel - Ursachen - Folgerungen, etc. auflegen würdest?“
Lieber Werner, vielen Dank für Deine Anregung. Die Corona-Nachrichten werden verdrängt durch Nachrichten über die Flutkatastrophe in Deutschland, im Ahrtal und in Nordrhein-Westfalen und dem Feuer an der Westküste von USA und Canada. Aber auch seit kurzem kommt das Feuer uns in Europa am Mittelmeer an der türkischen Küste näher. Auch auf Sizilien, Sardinien, in Griechenland auf der Halbinsel Peleponnes und auf Rhodos fachen extreme Hitze und Wind die Brände an. Klimaforscher führen das auf die Erderwärmung zurück. Einer meiner Freunde verbringt seinen Ruhestand mehrere Monate im Jahr auf Sardinien und ist da ganz anderer Meinung. Die Feuer würden dort vorsätzlich aus reinen Spekulationsgründen gelegt, darüber seien sich viele Einheimische sicher. Einige Landbesitzer sollen davon profitieren, weil sich neue Einnahmenquellen für sie ergeben.
So soll auf einer vom Feuer vernichteten Fläche eine gigantische Solarzellen-Anlage gebaut werden. Außerdem gäbe es für die Brandlegung erpresserische Motive aus der Schutzgeldszene.
Es ist eine gute Idee, diesem von dir vorgeschlagenen Thema einen Essay zu widmen, der mit einen philosophischen Unterbau versehen werden kann. Naturphilosophie ist ein archaisches Thema. Die Anfänge reichen zurück bis in die griechische Antike, zu den sogenannten Vorsokratikern. Was ist das Sein, woraus besteht die Welt, wie ist Materie organisiert, gibt es einen gemeinsamen Ursprung? Wikipedia: Archē ist in der frühen griechischen Philosophie die Bezeichnung für den Urgrund der Welt, die Ausgangsbasis der Weltentstehung und allgemein für den Anfang der Kausalketten, deren Endresultat die empirischen Gegebenheiten sind.
Wer sich mit diesem Thema näher beschäftigen möchte, dem sei der Naturphilosoph Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854) empfohlen. Vor über 200 Jahren kehrte er die Blickrichtung auf die Natur um und dachte sie als „natura naturans“, als freies, selbstständig und eigenschöpferisch handelndes Subjekt. Seine Gedanken sind heute, in Zeiten der Klimakrise, auf eine nahezu unheimliche Weise hochaktuell. Auch Albert Einstein (1879-1955) beschäftigte sich mit den Kausalitäten einer Klimakrise. Dazu ein berühmtes Zitat von ihm „Menschen sind eine schlechte Erfindung“. Darauf komme ich später ausführlicher zurück. Wer sich damit näher beschäftigen möchte, dem empfehle ich die sehr lesenswerte Einstein-Biografie von Jürgen Neffe.
Normalerweise passiert in den Sommermonaten nicht viel. Presse, Radio und Fernsehen suchen regelrecht nach Themen im sog. Sommerloch. Wir haben Sommerferien und viele Menschen sind im Urlaub. Doch diesmal ist es anders. Corona tritt in den Hintergrund, dafür kam die große Flut, bei der Menschen Hab und Gut verloren haben. Existenzen wurden zerstört, Schwerverletzte und Todesopfer sind zu beklagen. Schreckliche Bilder aus dem Ahrtal und Nordrhein-Westfalen, wo ein ganzer Ort weggespült wurde, beherrschten die Nachrichten. Unsere Freunde, die im Westen Canadas leben, schreiben und senden Bilder per WhatsApp von den schrecklichsten Bränden, die sie jemals dort erlebt haben, ein
24 Kilometer entfernter Nachbarort musste vollständig evakuiert werden. Freunde, von dort wurden von ihnen aufgenommen. Sogar auf Vancouver-Island, wo Christines Bruder in Comox lebt, herrscht große Trockenheit, Gärten dürfen nicht mehr gewässert werden und an die Menschen wird appelliert, nur in den notwendigsten Fällen zu duschen. Was für eine verrückte Welt, möchte man ausrufen. Glaubt der Mensch tatsächlich er könnte sich „die Erde untertan machen“? Oder haben wir den Text der Schöpfungsgeschichte falsch verstanden? Die Natur verzeiht uns die totale Ausbeutung niemals. Im Kampf „Mensch gegen Natur“ behält sie immer die Oberhand. Die Natur nimmt die Verletzung ihrer Gesetze sehr übel. Ist das, was wir gerade erleben, eine solche Reaktion?
Fußballnachrichten treten etwas in den Hintergrund. Am 29. Juni 2021 endete für Deutschland mit dem frühen Ausscheiden im Achtelfinale gegen England die Fußball-Europameisterschaft und für Jogi Löw seine Ära als Nationaltrainer. Der 61-Jährige betreute die DFB-Auswahl über 15 Jahre. Kein anderer Nationaltrainer war länger im Amt. Ich hätte ihm gewünscht, dass seine „Jungs“ zum Abschied noch einmal den Titel holen. Italien, der vierfache Weltmeister, besiegte England im Endspiel im Juli 2021 mit einem spektakulären Elfmeterschießen und wurde Europameister.
Olympiade-Nachrichten: Vom 23. Juli bis 8. August 2021 fand die im letzten Jahr wegen Corona ausgefallene Olympiade 2020 in Japan statt. Aber es machte keine Freude im Fernsehen den Athleten in leeren Sportstätten zuzusehen. Und was bedeutet es für die Wettkämpfer, ihre Leistungen ohne Publikum „abzuliefern“. Gigantische Hotelbauten, die für Zuschauer vorgesehen waren, standen öde und leer. Wer wird sie in der nach-Olympia-Zeit wohl bewohnen? Die Corona-Inzidenzzahlen schnellen trotzdem wieder nach oben in Tokio, nicht bei den Teilnehmern, sondern stark bei Leuten im Alter bis 39 Jahren, wie kürzlich berichtet wurde. Sie hatten vermutlich geglaubt, Corona sei vorbei. Einige Gazetten schieben es auf ausländische Besucher, obwohl niemand einreisen durfte, nur die mitreisenden Offiziellen. Mittlerweile steht fest, dass eine zunehmende Sorglosigkeit der eigenen Bevölkerung der Grund für die Zunahme der Infektionen ist.
Große Freude in Darmstadt, Samstag, 24. Juli 2021: Die Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt ist von der UNESCO zum Welterbe ernannt worden. Sie wurde von der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation mit diesem Titel ausgezeichnet. Oberbürgermeister Jochen Partsch sieht das als Lohn für jahrelange harte Arbeit. Mit dem begehrten Titel werden nur Kultur- und Naturstätten von herausragendem universellem Wert ausgezeichnet.
Angeregt von der Titelfrage „Was darf ich hoffen?“ der August-September-2021-Ausgabe des Philosophie-Magazins, möchte ich Ihnen, meine Leserinnen und Leser diese philosophische Frage weitergeben und noch einige hinzufügen. Wie denken Sie über die Ungewissheit der Zukunft? Positiv oder eher negativ? Gibt es eine Post-Corona-Ära? Wie können Krisen die Zukunft verändern? So lautet auch der Titel meines Vortrages, den ich am 17. November 2021 im Vortragsraum der Akademie 55plus in Darmstadt für angemeldete Mitglieder halten werde. Programm der Akademie 55plus
In meinem 2018 erschienen Buch “WEISE ALTERN“ habe ich in einem Kapitel über die vier Kant‘schen Grundfragen des Lebens geschrieben, die den großen deutschen Philosophen der Aufklärung beschäftigten:
1. “Was kann ich wissen?“, eine Frage zur Ethik und Moralphilosophie.
2. “Was soll ich tun?“ aus der Religionsphilosophie, die Frage
3. “Was darf ich hoffen?“ und die anthropologische Frage
4. “Was ist der Mensch?“
Das Zitat aus dem Schlusswort seiner Schrift “Kritik der praktischen Vernunft“ ist für mich zum Leitsatz geworden: “Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir …“. Der Satz lautet vollständig: "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir." Eine Sentenz, die Sie alle kennen im Zusammenhang mit Kants “kategorischem Imperativ“. „Der gestirnte Himmel über mir“ ist für Kant ein Symbol für die unbegreifliche Ordnung des Kosmos‘ und „das moralische Gesetz in mir“, bedeutet a priori (von vornherein, grundsätzlich, ohne weitere Beweise) alle meine Handlungen darauf auszurichten, dass sie zu einer „allgemein gültigen Maxime des Lebens“ werden können.
Die Philosophin Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie-Magazins, stellt dem emeritierten Professor für Philosophie an der Universität Tübingen Otfried Höffe die Frage, was wir Kant zufolge hoffen dürfen? Bei Kant „darf ich hoffen, wenn ich tue, was ich soll“, antwortet Höffe: „Hoffen ist bei Kant eine Erlaubnis, ein Recht und essenziell mit einem Tun verbunden. Ich darf hoffen. Und nicht: Man macht mir Hoffnung. Bei der Pandemie hingegen ist man kompromisslos den Geboten und Verboten des Staates unterworfen.“
Seien wir optimistisch und positiv und hoffen, dass die gerade kursierende Corona-Delta-Mutante uns keinen Strich durch die Rechnung macht.
Allerdings muss uns klar sein, dass gerade die positiven Erwartungen mit einem erheblichen Frustrationsrisiko verbunden sind. Insbesondere dann, wenn das, was man erhofft, nicht eintritt und vielleicht alles noch viel schlimmer wird? Andererseits ist es gerade die Hoffnung, die uns aufrecht hält. Resilienz ist getragen von Hoffnung auf ein lebenswertes Morgen.
In der Einleitung habe ich geschrieben, dass dieser Corona-Essay zum großen Teil auch ein Flutkatastrophen-Essay ist. So manche Krise mussten wir in der jüngeren Vergangenheit bewältigen: Finanzkrise, Migrationskrise, Terroranschläge, Islamisten, Rechtsextreme, Antisemitismus, die Klimakrise und Corona. Und jetzt die dramatische Unwetterkatastrophe mit dem Verlust von mehr als hundert Menschenleben und der Zerstörung von Häusern und Existenzen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Seit dem 16. Juli kommen die schrecklichen Bilder im Fernsehen. Auch Katastrophenmeldungen aus Bayern, dem Berchtesgadener Land erschüttern die Menschen. Sind das die Folgen der anthropogenen, von Menschen verursachten Klimakrise? Wie deutlich muss uns die Natur noch zeigen, dass wir mit ihrer Zerstörung auch unsere Lebensbedingungen auf der Erde zunichtemachen. Wir müssen auf diesem Planeten leben, es gibt keine Ersatz-Erde.
Der britische Milliardär aus der Medien- und Musikindustrie Richard Branson und Jeff Bezos der Gründer des Onlineversandhauses Amazon haben sich schon einmal im Weltall umgesehen nach einem neuen Objekt, auf dem wir leben könnten. „Wie man sich fühlt, wenn man auf die Erde herunterschaut, ist unmöglich in Worte zu fassen. Es ist einfach nur unbeschreibliche Schönheit. Ich kann es nicht erwarten, dass ihr alle dort hoch kommen könnt“, schreibt er in einem begeisterten naiv-albernen Blog. Vielleicht wollte sich Bezos dort oben auch umsehen, wie die Amazon-Belieferung in der Milchstraße organisiert werden kann, sagte Lars Reichow in der musikalischen Monatsrevue des SWR am 2 Juli 2021.
In jedem Fall gibt es eine Post-Corona-Ära und auch eine Zeit nach der Flutkatastrophe. Ist es nur ein Zufall, dass wir jetzt an diesem Punkt, wo wir glaubten, die Pandemie bewältigt zu haben, gleich eine neue Krise meistern müssen? Zwingen uns die Naturgesetze zum schnellen Handeln und Gegensteuern? Viele von Ihnen kennen Yuval Noah Harari und sein wunderbares Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Wer es noch nicht gelesen hat, dem möchte ich es empfehlen. Harari zeigt, dass „die wirklichen Ursachen des menschlichen Leidens die eigenen Denk- und Verhaltensmuster“ sind. Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Jeder einzelne muss für sich entscheiden, ob und wie er sein Leben verändern möchte. Es hilft nicht auf den Staat und seine Verantwortlichen zu schimpfen. Wir haben keine Chance, andere zu ändern. Man muss selbst Schlüsse aus allem Geschehen ziehen und sein Verhalten darauf einstellen. Harari meint, dass unserer Gesellschaft ein riesiges Spektrum von Glaubensvorstellungen, Praktiken und Erfahrungen, ein Horizont von Möglichkeiten angesichts ökologischer, technischer und kultureller Grenzen offensteht. Krisen haben schon immer der Menschheit zur kreativen Weiterentwicklung gedient.
In der FAZ vom 20. Juli 2021 wird über ein Interview mit dem Klimaforscher Professor Mojib Latif berichtet, einem deutschen Meteorologen und Hochschullehrer, der auch das Amt des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft Club of Rome bekleidet. Latif beantwortet die Frage, ob der extreme Stark- und Dauerregen klima-oder wetterbedingt sei, nicht eindeutig. Der Klimawandel sei als ein Faktor von mehreren zu sehen. Über den von Dauerregen betroffenen Gebieten herrsche ein System, das sich nicht mehr bewege. Üblicherweise ziehen Tiefdruckgebiete, die den Regen bringen, von West nach Ost über Deutschland. Doch dieses Tiefdruckgebiet sei praktisch liegen geblieben und habe dabei enorme Wassermengen abgelassen. Latif meint, dass es verschiedene Faktoren gibt, die, zusammen mit der Erderwärmung, hier eine Rolle gespielt haben. Durch die höheren Temperaturen wird mehr Wasserdampf in der Luft gespeichert. Hinzu kommt die starke Erwärmung des Mittelmeers. Der Klimawandel selbst sei in Teilen der Bevölkerung umstritten, nicht aber unter Wissenschaftlern. Nach Latif soll sich gerade die Arktis besonders erwärmen. Der Temperaturgegensatz zwischen der Arktis und den südlicheren Breiten ist geringer geworden, mit der Folge, dass der antreibende Jetstream ins Stottern geraten könne, die Niederdruck-Gebiete länger an einem Ort verharren und die Wolken ihren Wassergehalt länger abregnen.
Für Klimaforscher steht fest, dass große Hitze und Starkregen früher selten waren und beide zukünftig häufiger auftreten werden. Prof. Latif erläutert, dass man derartige Extremwetterereignisse auf lokaler Ebene nur ganz schwer vorhersagen könne. Aber der Deutsche Wetterdienst habe einen guten Job gemacht, er hatte bis zu 200 Liter Wasser pro Quadratmeter vorausgesagt. Im Nachhinein zeigt sich, dass die Warnsysteme viel früher und schneller ausgelöst werden müssen. „Wir müssen uns wieder auf die alte Methode besinnen, auf Sirenen. Das geht schnell, das ist wirksam. Aber die Sirenen sind überall abgebaut worden, und die, die noch vorhanden sind, funktionieren nicht mehr.“ Die Rhein-Main Zeitung titelte am 21. Juli 2021 „Die Wege des Wassers sind vorhersehbar“. Wenn dem so ist, warum lässt man Bebauungen in den möglichen Überschwemmungsgebieten zu. In den betroffenen Gebieten kannte man schon aus früherer Zeit Hochwasser und Überschwemmung. Warum hat man keine ausreichende Vorsorge getroffen?
Es gibt auch positive Nachrichten: Vor einigen Jahren wurden in Miltenberg auf der Stadtseite des Mains bewegbare Staumauern gebaut, die bei drohender Überflutung geschlossen werden. Auch am Rhein gibt es in Deichen verschließbare Durchgänge. Am Eicher See gegenüber von Gernsheim stehen die Wochenendhäuser alle auf Stelzen. Da diese Unwetterkatastrophen nach allen Voraussagen häufiger werden, müssen wir uns vorsehen. Und dafür sollte eine staatliche Regulierung vorhanden sein.
Kommen wir zurück auf das eigentliche Thema meines Essays. Es gibt noch einen interessanten Beitrag im Philosophie Magazin vom Juli 2021. Der französische Philosoph Octave Larmagnac-Matheron schreibt zum Thema „Syndemie: Die Krankheit vor der Krankheit?“ Syndemie statt Pandemie? Was bedeutet das? Ist das eine „Umwertung aller Werte“ wie das Friedrich Nietzsche nennen würde? Was steckt hinter dem Begriff Syndemie?
Schauen wir nach bei Wikipedia: Eine syndemische oder synergistische Epidemie ist die Anhäufung von zwei oder mehr gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Epidemien oder Krankheitsclustern in einer Population mit biologischen Wechselwirkungen, die die Prognose und Krankheitslast verschlimmern. Der Begriff wurde Mitte der 1990er Jahre von Merrill Singer entwickelt. Syndemien entwickeln sich unter gesundheitlicher Ungleichheit, verursacht durch Armut, Stress oder strukturelle Gewalt und werden von Epidemiologen und medizinischen Anthropologen untersucht, die sich mit der öffentlichen Gesundheit, der Gesundheit der Gemeinschaft und den Auswirkungen sozialer Bedingungen auf die Gesundheit befassen.
Larmagnac-Matheron hat eine andere Sichtweise auf die Corona-Pandemie und bezieht sich auf einen Artikel In der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“. Der Lancet ist eine der ältesten und renommiertesten medizinischen englischsprachigen Fachzeitschriften der Welt, die seit 1823 wöchentlich erscheint. Seit 2003 wird auch eine neue Lancet-Website in Deutsch angeboten. Unter http://www.thelancet.de finden Sie jede Woche eine Zusammenfassung der wichtigsten Veröffentlichungen aus der aktuellen Lancet-Ausgabe in deutscher Sprache. Unlängst konnte man dort lesen, dass wir gerade keine Pandemie, sondern vielmehr eine Syndemie erleben. Larmagnac-Matheron schreibt: Um zu verstehen, was damit gemeint ist und welche Konsequenzen das hat, hilft ein Blick in das Werk des französischen Arztes und Philosophen Georges Canguilhem (1904-1995), Epistemologe und Dozent am Collège de France. (Epistemologie „Wissenschaftslehre“, ein Hauptgebiet der Philosophie)
„Covid-19 ist keine Pandemie“, schrieb Richard Horton, Chefredakteur des „Lancet“ vor kurzem in einem Artikel. Auch wenn die Ausbreitung des Virus selbstredend ein globales Problem sei – die Vorsilbe „pan“ ist griechisch und bedeutet „ganz, völlig, gesamt“ –, würde das die aktuelle Lage nicht ausreichend beschreiben. Anstatt das Augenmerk allein auf die Größe der Ausbreitung zu legen, wäre es nötig, die Gründe für den gesundheitlichen Schaden zu studieren, den das Virus anrichtet. Denn Covid-19 habe sich nur so schnell verbreiten und so verheerende Folgen anrichten können, weil ein Zusammenspiel vieler anderer chronischer Krankheiten die Weltgesundheit schon lange erheblich geschwächt habe.
Deshalb, so Horton, sollten wir eher von einer Syndemie sprechen. […] Hortons Befund wurde durch eine detaillierte Studie bestätigt, die am 17. Oktober 2020 ebenfalls im Lancet veröffentlicht wurde und in der es heißt: „Die Wechselwirkung von Covid-19 mit weltweit ansteigenden chronischen Krankheiten wie Fettleibigkeit, erhöhtem Blutzuckerspiegel und Luftverschmutzung hat in den letzten 30 Jahren die Voraussetzungen für derart viele Todesfälle durch und mit Covid-19 erst ermöglicht. […] Viele der Risikofaktoren und nichtübertragbaren Krankheiten, die im Rahmen dieser Studie untersucht wurden, fügten beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinzu, „erhöhen das Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Verlauf von Covid-19.
[…]Bevor Menschen auf der ganzen Welt dem Risiko ausgesetzt waren, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, vergifteten und schwächten sie sich durch ihre eigene, ganz alltägliche Lebensweise: Schlechte Ernährung, zu wenig Bewegung und soziale Ungleichheiten. […] Mehr als „nur“ Maßnahmen zur Bekämpfung einer einzelnen Krankheit, brauchen wir deshalb eine Gesundheitspolitik, die es ermöglicht, die Gesundheit aller langfristig zu erhalten und zu fördern.
Was kann Gesundheitspolitik zur Gesundheit eines jeden Einzelnen beitragen. Und kann oder sollte sie überhaupt auf den Menschen einwirken. Wo bleibt dabei der sogenannte freie Wille jedes Einzelnen. Wir können stolz sein in Deutschland auf unser soziales Gesundheitsnetzwerk. In den gesetzlichen Krankenkassen trägt der eine den anderen, der Gesunde den Kranken, der gesund Lebende jenen, der seinen Körper durch eine ungesunde Lebensweise schwächt.
Hinzu weise ich auf ein Kapitel in meinem 2014 erschienen Buch „Fröhlich altern“ hin. Fröhlich altern? Ist das überhaupt möglich bei all den Beschwerden, die das Alter so mit sich bringt? Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sehen das durchaus positiv. Im Mittelpunkt stehen die Risiken und Chancen eines langen Lebens, der Alternsbegriff, die demografische Entwicklung und die vielen Gesichter des Alterns. In der Gerontologie (DGfA e.V., Deutsche Gesellschaft für Alternsforschung http://alternsforschung.org) wird von einem dritten Lebensalter oder junges Alter und einem vierten Lebensalter, hohes Alter oder Hochaltrigkeit, gesprochen. Wann gelingt es, was bedeutet „das vierte Alter“ und wie denken wir über unser eigenes Altern. Wenn wir uns aktiv auf das Alter einstellen, müssen wir keine Angst vor dem Älterwerden haben. Die drei grundsätzlichen Punkte, die vom französischen Philosophen Larmagnac-Matheron gefordert werden, gilt es zu verinnerlichen. Eine gesunde Lebensweise, damit sind ausreichend Bewegung, eine gute Ernährung und soziale Kontakte gemeint. Auf meiner Homepage biete ich zu diesem Thema interessante Vorträge mit vielen Bildern und noch mehr Anregungen. Bitte einfach hier anklicken!
Thema Impfen
Als ich kürzlich wieder mit meinem professoralen Freund in Pasadena telefonierte, erzählte er mir von dem amerikanischen Radiomoderator Phil Valentine von Nashville/Tennessee, der sich über die Notwendigkeit einer Corona-Impfung in seinen Sendungen lustig machte und damit viele Zuhörer beeinflusste. Phil Valentine hat sich nun mit Covid-19 infiziert und wurde in einem sehr kritischen Zustand ins Krankenhaus eingeliefert. Durch seinen Bruder hat er nun eine Erklärung abgegeben, in der er dringend dazu rät, sich impfen zu lassen. In Amerika sind viele Unternehmen deutlich rigoroser, ohne eine Impfung kann zum Beispiel niemand mehr bei Google und Facebook arbeiten, berichtete mein amerikanischer Freund. Aber auch immer mehr Universitäten und Hochschulen verlangen von Studierenden und Lehrenden die Impfung, dazu zählen das Massachusetts-Institut für Technologie, die Eliteuniversitäten Yale, Harvard und Stanford. Eine Anfrage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergab, dass eine Impfpflicht für Schulen, Hochschulen und Universitäten rechtens sei.
Leopoldina -Forscher Professor Armin Falk bezeichnete in einem Interview mit der FAZ Impfgegner als Trittbrettfahrer der übelsten Sorte. Die Impfung ist ein Akt der Solidarität für das Gemeinwohl. Ich schütze nicht nur mich, sondern auch andere, insbesondere diejenigen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Seit 1. August 2021 gilt für Reiserückkehrer die neue Corona-Einreiseverordnung. Aus dem Ausland nach Deutschland einreisende Personen müssen nachweisen, dass sie nicht infiziert sind. Ein negativer Test sowie Impfnachweis oder eine durchlittene Infektion sind gleichermaßen gültig. Geldstrafen bei Verletzungen der Einreiseverordnung können erlassen werden. Die Hoffnung der Politiker besteht darin, durch die neue Verordnung Ungeimpfte zur Impfung zu bewegen. Ein Geimpfter kann nicht zur Ausbreitung der Krankheit beitragen.
Hier kommt die Herdenimmunität ins Spiel: Je mehr Geimpfte in der Bevölkerung vorhanden sind, umso geringer wird die Ausbreitung der Krankheit durch gegenseitige Ansteckung. Wissenschaftler schätzen, dass ein wirksamer Effekt der Herdenimmunität erst ab einer Durchimpfung von mindestens 80 Prozent der Bevölkerung zu erwarten ist. Inwieweit die Corona-Impfstoffe auch gegen neue Virus-Mutationen schützen, kann noch nicht sicher beurteilt werden, denn man beobachtet gerade einen Anstieg der Infektionszahlen durch die Delta-Variante, die aus Indien über England zu uns aufs Festland eingeschleppt wurde, die offenbar leichter und schneller übertragen wird.
Die Geschichte der Impfungen habe ich einmal bei Wikipedia nachgelesen. Als im Deutschen Reich 1871 eine schwere Pocken-Epidemie ausbrach, starben daran rund 180 000 Menschen. In der Folge führte der Staat unter Otto von Bismarck 1874 per Gesetz die Pocken-Impfpflicht ein. Das war damals kein Problem, das Kaiserreich war ein Obrigkeitsstaat und der Bürger war Untertan. Wer sich einer Impfung verweigerte, dem drohten Sanktionen: Geldstrafen, Haft und Zwangsimpfung.
In Deutschland trat im März 2020 das Masernschutzgesetz in Kraft. Danach müssen alle Kinder beim Eintritt in den Kindergarten oder in die Schule eine Masern-Impfung nachweisen. Weil aber in unserer Demokratie Verfassungsbeschwerde eingelegt werden kann, muss das Bundesverfassungsgericht über die Gesetzmäßigkeit noch entscheiden. Umfragen zeigen, dass jeder Vierte in Deutschland die Impflicht befürwortet, jedenfalls für alle Bürger, bei denen keine gesundheitlichen Gründe dagegen sprechen. Corona-Impfdosen sind für alle verfügbar, jeder kann sich schnell und unbürokratisch impfen lassen. Die für alle Nichtgeimpften vorgeschriebenen Coronatests werden wohl nicht mehr kostenlos bleiben. Im ARD-Deutschland-Trend sagten 83 Prozent der Befragten sie seien schon mindestens einmal geimpft oder wollen sich noch impfen lassen, nur 12 Prozent lehnen eine Impfung ab.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble meinte, Geimpfte und Genesende könnten nicht dauerhaft allen Beschränkungen unterworfen werden, die für Nichtgeimpfte gelten, um die Pandemie zu bekämpfen. Er sehe keine verfassungsrechtlichen Probleme für eine unterschiedliche Behandlung. Schäuble mahnte, die Menschen sollten sich stärker mit der Frage auseinandersetzen, welche Folgen eine Impfverweigerung für die Mitmenschen hat. Darüber sollte man auch im Freundes- und Bekanntenkreis diskutieren. Ein gewisser gesellschaftlicher Druck sei aus seiner Sicht nicht verkehrt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Bundesjustizministerin Christine Lambrecht und CSU-Chef Markus Söder haben sich dafür ausgesprochen, einen starken Anreiz für die Impfung zu setzen, indem sie Corona-Tests kostenpflichtig machen wollen.
Und wer das übertrieben findet, sollte nach Italien schauen, wo die Regierung Draghi hart durchgreift. Wer keinen Impfpass vorlegen kann, darf nicht mehr ins Restaurant, Theater, Kino und Museum. Das gilt nicht nur für die eigene Bevölkerung, sondern auch für Touristen.
Aus meinem Tagebuch: Augenoperation
Diesen Corona-Essay beende ich mit einem persönlichen Bericht anhand meines Tagebuches. Das herausragende Ereignis der letzten Wochen war für mich die Operation des Grauen Stars. Meine Augenärztin Frau Dr. Hesse hatte eine Trübung der Augenlinse festgestellt und mich an Dr. Hessemer (Augenmedizin Darmstadt im Marinehospital) empfohlen. Zur umfangreichen Voruntersuchung verbrachte ich vier Stunden im Marienhospital. Die jeweiligen Untersuchungen dauerten nicht lange, doch die Wartezeiten dazwischen erforderten sehr viel Geduld. Ein wichtiger Parameter zur Beurteilung der Operationsfähigkeit, der Augeninnendruck, war viel zu hoch und musste mittels spezieller Augentropfen gesenkt werden. Nach einer Woche hatte wurde der Druck überprüft und siehe da, er war zufriedenstellend und ich erhielt den Termin zur Operation. Sie erfolgte am 26. Juli 2021 und verlief komplikationslos. Christine wurde benachrichtigt, dass ich zur Abholung bereit säße. Die ersten Tage danach hatte ich die im Merkblatt angekündigten postoperativen Symptome, wie Verschwommensehen und Fremdkörpergefühl. Mit meiner seitherigen Brille konnte ich nun nicht mehr richtig sehen, weil bei dem operierten Auge die bisherigen sehr hohen Dioptrienwerte stark gesenkt waren. Nach einer Woche konnte ich bereits wieder optimal sehen und erhielt eine Interimsbrille für die nächsten drei Wochen. Danach erhalte ich vielleicht schon die neue Gleitsichtbrille. Einen Grauen Star merkt man selbst zunächst nicht, deshalb empfehle ich jedem im fortgeschrittenen Alter eine Überprüfung.
Bei Dr. Hessemer bedanke ich mich für die erfolgreiche Operation. Meinem Auge habe ich gleichermaßen gedankt, weil es diese Prozedur von - einfach ausgedrückt - eigene Linse aus dem Auge entfernen und eine neue künstliche einfügen so gut verkraftet hat. Dabei dachte ich auch an eine Studie von Prof. Utsch, der Religionspsychologie an der evangelischen Hochschule in Marburg lehrt. „Wer betet, ist glücklicher und lebt länger.“ Hier der Link zu einem Auszug aus dieser Studie.
Wenn Sie dieses Corona-Essay als E-Mail zu erhalten wünschen, senden Sie mir Ihre Kontaktdaten, damit ich Sie in den Rundmail-Verteiler aufnehmen kann.
Bleiben Sie gesund und optimistisch!
Ihr Dieter Heymann
Corona-Essay (5) von Dieter Heymann
„Meine Gedanken hinter den Nachrichten“ 8. Juli 2021
Die Kommunikation mit den Rundmail-Empfängern der Corona-Essays wird von Mal zu Mal intensiver und interessanter. Auf eine Frage möchte ich hier eingehen. Eine Leserin schreibt mir „Warum nennen
Sie Ihre Aufsätze zu dem Thema „Corona“ eigentlich Essay? Wie unterscheidet er sich von einem Aufsatz oder einer Hausarbeit, von denen wir eine Menge während unseres Studiums abgeben mussten? Auf
solche Fragen erhalten alle Wissensbegierigen gute Antworten im Worldwideweb: https://www.uniturm.de „Essay
bedeutet so viel wie Probe oder Versuch und lässt sich vom französischen essai bzw. vom lateinischen exagium ableiten.“
Mir geht es in meinen Essays darum, ein aktuelles Thema zu diskutieren, meine Haltung dazu meinen Leserinnen und Lesern näher zu bringen. Ich möchte niemand von meiner Meinung überzeugen. Die
Corona-Essays bedeuten für mich den „Versuch“, zu aktuellen Fragen meine Gedanken zu ordnen, eine Position einzunehmen und Leserinnen und Leser in meine Gedanken einzubinden. Zur Onlineversion
der Corona-Essays kommt man auch auf meiner Homepage, einfach anklicken. Dort findet man auch alle vorherigen Versionen.
Am 26.05.2021 veröffentlichte das „Statista Research Department“ (https://de.statista.com) eine Umfrage
zu den wichtigsten Problemen in Deutschland 2018-2021: „Mitte Mai 2021 gaben 66 Prozent der Befragten an, die größten Sorgen hinsichtlich des Coronavirus zu haben. Seit März 2020 ist die Sorge um
die Folgen der Pandemie als wichtigstes Problem stark angestiegen und hat den Klimawandel verdrängt. Die Sorge um die Umwelt und den Planeten ist im Vergleich zum Jahr 2019 stark zurückgegangen“.
Die Deutschen sind nach einer Emnid-Studie „Pessimismus-Spitzenreiter“ in der Welt, und besonders wir Älteren schauen oft voll Pessimismus in die Zukunft. Der Mathematiker, Philosoph und
Soziologe Meinhard Miegel, Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, nannte den Zukunfts-Pessimismus der Deutschen eine Reaktion auf die Erkenntnis, „dass eine goldene Epoche zu Ende
gegangen ist“. Das hatten wir im letzten Essay mit dem Buch von Oswald Spengler und seinem Werk „Der Untergang des Abendlandes“ ausführlicher besprochen.
In einem Rückblick sei vermerkt, dass auch ein Jahr nach Ausbruch der weltweiten Finanzkrise 2008 Deutschland immer noch zu den reichsten Ländern dieser Erde gehörte. Miegel erklärte, dass
insbesondere die Älteren keinen Grund für ihre pessimistische Weltsicht hätten, es ginge ihnen so gut wie nie und gerade sie zählten zu den am wenigsten Betroffenen in dieser Krise. Nach dieser
schweren Finanz- und Wirtschaftskrise, die im Frühjahr 2008 begann und von der die ganze Welt betroffen war, titelte die FAZ in ihrem Feuilleton ein Jahr später „Die Sorge hat keine Adresse
mehr“. „In der Krise reagierte der Mittelstand ohne Panik. Seit er sich daran gewöhnt hat, Familie, Schule und Beruf durch Netzwerke zu ersetzen, ist er resistent gegen Empörung. Eine
Gesellschaft, die das Vertrauen in Institutionen verloren hat, sucht ihre Sicherheit in ständiger Kontrolle und Zertifizierung.“
Der finanzielle und wirtschaftliche Zusammenbruch ist damals ausgeblieben. Den Euro gibt es immer noch und er zählt zu den härtesten Leitwährungen der Welt. Staaten sind nicht Pleite gegangen und
viele Banken verdienten schon bald wieder gutes Geld. Aktienkurse stiegen unerwartet schnell und viele Konjunkturdaten deuteten darauf hin, dass die Rezession vorbei war und die Wirtschaft wieder
wächst. In einem Essay schrieb ich damals: „Noch nie in der Geschichte der Krisen scheint eine Erholung in dieser Geschwindigkeit stattgefunden zu haben. Der Aufschwung wird in erster Linie
gestützt durch private Ausgaben, die erstaunlicherweise mitten in dieser Krise mehr zugenommen haben, als in vergleichbaren Zeiträumen.“ Rainer Hank, Leiter des Wirtschaftsresorts der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung, meinte „dass es uns überraschend schnell wieder besser geht, verdanken wir im Übrigen ausgerechnet den unglaublich wachstumshungrigen Ländern Asiens. In China, Indien,
Singapur und Südkorea berichteten die Statistiken für das zweite Quartal 2009 ein Wachstum von gut 10 Prozent. Da fallen auch wieder Aufträge für die deutsche Industrie ab“. Ich bin sehr
gespannt, ob und wann wir auf die Corona-Krise ähnlich reflektieren werden.
In meinen bisher erschienenen Büchern thematisierte ich wiederholt die immer gleiche Frage nach der Resilienz der Menschen. Sie gehört zu meinen großen lebenspraktischen Fragen. Wie schaffen wir
Menschen es immer wieder Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft zu haben? Woher beziehen die meisten von uns den natürlichen Optimismus? Erst kürzlich haben aktuelle Berichte amerikanischer
Neurologen zur Hirnforschung den Sitz unseres Optimismus‘, der immanenten Zuversicht und des Vertrauens, im menschlichen Mittelhirn gefunden. Die Fachleute sprechen von der Substantia nigra,
einer Hirnregion, dem Belohnungszentrum unserer alltäglichen Lernprozesse. Wir haben alle schon von dem in unserem Körper selbst gebildetem Hormon Dopamin gehört. Es ist der Belohnungsstoff, wenn
es um die Erzeugung von Glücksmomenten geht. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass allein schon Wunschdenken die Nervenzellen Dopamin ausschütten lässt. Und wer von uns ist nicht süchtig
oder ein bisschen gierig nach Glück und Glücksmomenten. Auch das ist eine Voraussetzung, um bessere Zeiten zu schaffen. Es genügt offenbar schon, wenn man sie sich nur wünscht. Eine wahrhaft
segensreiche, natürliche Eigenschaft bei Menschen. Etwas nachdenklich stimmt mich schon die Nachricht der Hersteller von Cannabidiol-Öl und Mundsprays von enorm wachsenden Verkaufszahlen.
Angeblich sollen die Hanfprodukte Glückgefühle auslösen.
Zurück zum Thema Corona. Am 7. Juli 2021 veröffentlicht das RKI weltweit gibt es 185 Millionen Fälle und 4,01 Millionen Todesfälle. An der Spitze der Statistik stehen die USA mit 34,6 Millionen
Fällen und 621 561 Todesfällen. Deutschland belegt Platz 12 in der Statistik mit 3,7 Millionen Krankheitsfällen und 91 630 Todesfällen. Am wenigsten betroffen sind nach der weltweiten Statistik
über 222 Länder die Westsahara mit zehn Fällen, die Cookinseln und Micronesia mit je einem Fall. Beim Aktualisieren der Daten habe ich Micronesia entdeckt, ein Land, dessen Namen ich bisher noch
nicht gehört hatte. Bei Wikipedia steht: „Teilbereich von Ozeanien, bestehend aus Tausenden kleiner Inseln im westlichen Pazifischen Ozean. Es hat eine enge gemeinsame Kulturgeschichte mit drei
anderen Inselregionen: die Philippinen im Westen, Polynesien im Osten und Melanesien im Süden – sowie mit der weiteren Gemeinschaft der austronesischen Völker. Mit den verbündeten Staaten von
Micronesia hat es 112 640 Einwohner.“ Doch woher kommt dort der einzige Corona-Infizierte?
Wie sieht die Impfsituation in Deutschland aus? Seit dem 7. Juni 2021 ist die Priorisierung für die Corona-Impfung bundesweit aufgehoben. Hunderttausende melden sich für die Impfung an. Alle
Menschen ab 16 Jahren, die in Hessen wohnen, können sich für einen Termin registrieren lassen. Auch die Einbindung von Haus- und Betriebsärzten in die Impfkampagne läuft mittlerweile gut. In
Deutschland wurden bis 7. Juli 2021 77,3 Millionen Impfdosen verabreicht, 32,4 Millionen Personen sind vollständig, also zweimal geimpft, das entspricht einer Quote von 39 Prozent der gesamten
deutschen Bevölkerung. Bei sinkenden Corona-Zahlen entfallen immer mehr Alltagsbeschränkungen, etwa in den Bereichen Schule, Kita und Sport. Die im April in Kraft getretenen bundeseinheitlichen
Regeln sind im Infektionsschutzgesetz bis zum 30. Juni befristet. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, dass die Notbremse „sehr zur Klarheit“ beigetragen habe, um die dritte Coronawelle zu
bremsen. Laut RKI liegt die 7-Tage-Inzidenz in Deutschland bei 4,9, in Hessen bei 6,6 und in Darmstadt bei 7,5. Christine und ich sind zum zweiten Mal geimpft und haben gerade einige wunderbare
Urlaubstage im Schwarzwald am Titisee verbracht. Dort liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 3. Im Herbst möchten wir auch wieder unsere geliebte Algarve besuchen. Portugal kämpft im Augenblick mit der
gefürchteten Deltavariante des Virus‘, das wohl aus England eingeschleppt wurde.
Seit 14. Juni 2021 ist es möglich, den bestehenden Impfschutz vom Impfpass auf sein Smartphone in eine besondere App eintragen zu lassen. Wir haben das bei unserer Apotheke machen lassen.
Im Corona-Essay vom 23. März 2021 berichtete ich von der Firma Audeering GmbH in Gilching, die 2012 als Spin-Off (Ausgründung) der TU München gegründet wurde. Audeering machte eine sensationelle
Erfindung, nach der sich Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer, Depressionen und Burnout in einem sehr frühen Stadium durch Veränderungen in der Stimme diagnostizieren lassen. Es wurde auch ein
Corona-Test vorgelegt, bei dem nach 30 Sekunden normalen Sprechens auf ein Smartphone das positive oder negative Testergebnis feststehen soll. Auf der Homepage der Firma https://www.audeering.com/ai-soundlab/ wird geworben, sich dort registrieren zu lassen,
um deren Computer für „KI für COVID-19“ zu trainieren. „Als führender Innovationstreiber im Bereich der KI-basierten Audioanalyse haben wir eine App zur Erkennung von Corona anhand von
Audio-Aufnahmen entwickelt. Unser Ziel ist es, das Virus mit einer skalierbaren, global einsetzbaren, nicht-invasiven Lösung zu bekämpfen, die hochpräzise und überall und jederzeit einsetzbar
ist. Wir erkennen Symptome von COVID-19 und anderen Sprach-Biomarkern anhand von Audiodaten und leisten damit einen wertvollen Beitrag zur Forschung, indem wir auch den Krankheitsverlauf mit
neuesten KI-Methoden analysieren. Es werden noch Tausende von gesundheits-bezogenen Hörproben benötigt. Sie können mithelfen und den Kampf gegen Corona unterstützen, indem Sie Ihre persönlichen
Sound-Daten über unser AI Sound Lab Webportal bereitstellen.“ Diese App soll nicht nur Symptome analysieren, sondern auch den Krankheitsverlauf beobachten. Dazu braucht Audeering noch viele Daten
und Sprachproben. Die Probanden sollen über das Mikrofon des Handys husten und niesen, damit das System lernt und erkennt, ob jemand mit Corona infiziert ist. Die Audio-Aufnahmen der Testnutzer
werden mit hinterlegten Patientendaten abgeglichen und mit der entwickelten KI ist es möglich, diese mit Covid-19 zu assoziieren. Studien haben gezeigt, dass Husten, Niesen und andere
Geräusche aus der Stimme zuverlässige Biomarker für den Nachweis von COVID-19 sein können. Wollen Sie nicht auch an der Weiterentwicklung mitarbeiten? Hier ist der direkte Link für Ihre
Sprachprobe: https://www.audeering.com/ai-soundlab/
Ich habe den Sprach- und Soundtest im virtuellen Al Sound Lab gemacht. Es hat mir großen Spaß bereitet und war auch nicht schwer. Das System führt durch den Test und gibt jeweils den nächsten
Schritt vor. Vorgegebene Laute muss man mehr oder weniger ausstoßen, es soll auch einmal 3-5 Sekunden gelacht, und zum Schluss ein vorgegebener Text vorgelesen werden. Alles dauert nur wenige
Minuten. Es wäre großartig, wenn alle Leserinnen und Leser daran teilnähmen und mit der Weiterleitung der Rundmail weitere Probanden gewinnen würden. So könnten Sie der Wissenschaft einen
exzellenten Dienst erweisen.
Wie kann das mit einem minimalen Aufwand geschehen? Ganz einfach! Über den folgenden Link gelangen Sie direkt auf die Seite des Testlabors: https://aisoundlab.audeering.com/de/user/study
Entweder machen Sie diesen Test über Ihren PC oder das Notebook. Die Geräte müssen über Mikrofon und Lautsprecher verfügen. Mit einem internetfähigen Mobiltelefon klappt es gleichermaßen.
Audeering verspricht einen sicheren Schutz Ihrer persönlichen Daten.
Ich möchte noch eine weitere Firma vorstellen, der eine wichtige Entwicklung im Bereich Medizintechnologie zur Behandlung einer Corona-Infektion gelang. Sie heißt ADVITOS https://www.advitos.com Geschäftsführer und Gründer PD Dr. Bernhard Kreymann und seine Kollegin Dipl.-Ing. Catherine
Schreiber haben ein neues Dialysegerät ADVOS entwickelt. ADVOS steht für Advanced Organ Support, in der deutschen Übersetzung „Erweiterte Organ-Unterstützung“. Mit den bisher
bekannten Geräten für maschinelle Beatmungen von COVID-19-Patienten konnte man nur die Zeit bis zur Erholung der Lungen überbrücken. Doch für Dialyse- und Leberersatztherapien braucht man
weitere Geräte. Kreymann: „Hingegen arbeitet das von uns gebaute Multifunktionsgerät ganzheitlich und nicht nur auf der Ebene eines einzelnen Organs.“ Gerade in der Corona-Pandemie, in der
Ärzte und Intensiv-Pflegepersonal oft überlastet waren, eignet sich dieses neue Gerät sehr gut, weil nur ein Apparat bedient werden muss. Für Erkrankte bietet es einen therapeutischen
Gewinn, weil damit Lunge, Leber und Nieren gleichzeitig entgiftet werden können. Das Gerät ist in zahlreichen Krankenhäusern und Universitätsklinken bereits im Einsatz.
Die Pandemie ist bei den zurzeit deutlich sinkenden Neuinfektionen bei uns kein Gesprächsthema. Bundesaußenminister Heiko Maas hat sich am 6. Juli 2021 für eine Aufhebung aller
Corona-Einschränkungen ausgesprochen, sobald alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot bekommen haben. Es hat den Anschein, dass sich die Corona-Viren einen Sommerurlaub gönnen, um für den
kommenden Herbst/Winter Kraft zu sammeln für ihre Vermehrungs- und Mutationsarbeit in einer vierten Welle. Aber schon warnt Virologe Christian Drosten mit erhobenen Zeigefinger vor der in Indien
entdeckten Mutante Delta, die sich leichter verbreitet. In Portugal, der Schweiz, in den Vereinigten Staaten und in England hat sie - trotz der Impffortschritte - für einen besorgniserregenden
Anstieg der Fallzahlen gesorgt. Drosten: „Natürlich werden die Fallzahlen gen Winter wieder hochgehen. Das kann auch schon im Herbst passieren. Aber das wird ab jetzt jeden Winter so sein“. Es
wird spannend, den Effekt der Impfungen auf die Krankheitsverläufe zu beobachten. Würde man die Labornachweise zählen, sähe man wohl eine vierte Welle. Aber es sei dann keine Welle mehr, die um
die Erde läuft, sondern örtlich begrenzte Ausbrüche, meint Drosten. Langfristig könne man damit rechnen, dass sich Sars-CoV-2 wie die erst- bekannten Coronaviren verhalten werden, die leichtere
bis mittelschwere Erkältungen auslösen können. Festzustehen scheint, dass der BioNTech-Impfstoff auch wirksam gegen die bisher aufgetretenen Mutanten ist. Bei allen Impfstoffen geht man davon
aus, dass sie einen schwächeren Verlauf einer Covid-19 bewirken.
Es folgt ein kurzer philosophischer Einschub zum Thema Epidemie. In meinem Buch „Weise altern“ berichtete ich auf den
Seiten 99 ff. von der 1831 in Berlin ausgebrochenen Cholera-Epidemie. „Der 1770 in Stuttgart geborene Georg Wilhelm Friedrich Hegel starb am Montag, dem 14. November 1831 in seiner Wohnung am
Berliner Kupfergraben an dieser Krankheit. Der Tod kam überraschend. Am Freitag zuvor hatte er mit den Vorlesungen Rechts-philosophie und Geschichte der Philosophie begonnen, am Samstag Prüfungen
abgehalten. Am Sonntag zeigten sich die ersten Symptome der Krankheit, an der er am nächsten Tag gegen 17 Uhr starb. Am 16. November wurde er seinem Wunsch entsprechend auf dem evangelischen
Dorotheenstädtisch-Friedrichswerderschen Friedhof neben seinen Vorgängern Karl Wilhelm Ferdinand Solger und Johann Gottlieb Fichte begraben. Zahlreiche Equipagen und ein unabsehbar langer Zug der
Studenten gaben ihm das letzte Geleit.“ Das war für seinen Professorenkollegen Arthur Schopenhauer (1788-1860) eine unerträgliche Situation. Er war bekannt als hypochondrischer, sensibler
und ängstlicher Misanthrop. Als er hörte, dass sein Intimfeind Hegel an der Epidemie gestorben sei, verließ er fluchtartig Berlin in Richtung Frankfurt am Main. Mehrfach berichtete er, dass das
seine schönste und ruhigste Zeit seines Lebens wurde.
Glücklicherweise ist Covid-19 nicht derart tödlich wie seinerzeit die Cholera. Mit weltweit bisher über 180 Millionen Infizierten liegt Covid-19 bei höchstens einem Drittel der Infektionszahlen
der Spanischen Grippe an der von 1918-1920 in vier Infektionswellen sich über 500 Millionen Menschen infizierten und 50 Millionen daran starben. Zum Vergleich: An Covid-19 starben bis jetzt
weltweit 4,01 Millionen. In meinem Buch „HEINRICH“ beschreibe ich, dass nach der dritten Welle der Spanischen Grippe im Sommer 1919 die Krankheit als besiegt galt.
Doch damals verkündeten Virologen und Epidemiologen, die Krankheit und das Virus würden wohl niemals mehr verschwinden. Sie haben Recht behalten.
Außerordentliche Erfolge in der Medizin und Biotechnologie und eine enorme Geschwindigkeit bei der Entwicklung von Impfstoffen haben möglich gemacht, was sich vor 100 Jahren noch kein
Mensch vorstellen konnte. Alle haben von dieser Pandemie etwas gelernt: Politiker mit den Verordnungen im Umgang mit den Menschen, die Gesellschaft mit der Akzeptanz der Einschränkungen. Und
vielleicht auch die vielen „Gesundheitsexperten“, dass sie ihre Meinungen nicht mehr vorschnell in den sozialen Medien doktrinär verkünden.
In diesem Zusammenhang möchte ich einmal die Frage stellen, ob wir alle, einschließlich der Mediziner, Virologen und Epidemiologen eine Chance gehabt hätten, anders zu handeln, als wir es getan
haben? Da kommt Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) ins Spiel mit einem Zitat aus seinem berühmten Werk „Die Welt als Wille und Vorstellung“: „Der Mensch kann zwar tun was er will, aber er kann
nicht wollen, was er will.“ Es wirken ständig Eindrücke auf uns ein, die unseren Willen bestimmen, doch haben wir die Freiheit, uns zu unseren Wünschen so zu verhalten, wie wir es möchten? Haben
wir überhaupt einen freien Willen? Sie merken schon, die uralte philosophische Frage nach unserer Willens- und Handlungsfreiheit kommt ins Spiel. Und dabei kommt niemand an Harry G. Frankfurt,
dem 1929 geborenen amerikanischen Philosophen, vorbei. Er ist emeritierter Professor für Philosophie an der Princeton University. Im Übrigen finde ich auf folgender Website bei philosophischen
Fragen immer sehr gute Antworten: http://www.philosophieverstaendlich.de/freiheit/modern/frankfurt.html
Für alle Philosophie-Interessierten kommt eine Anregung zum Thema Willensfreiheit von dieser Website:
„Der klassische Kompatibilismus von Thomas Hobbes [1588-1679] und David Hume [1711-1776] setzt Freiheit mit Handlungsfreiheit gleich und definiert Handlungsfreiheit als die Fähigkeit, tun
zu können, was man tun will. Doch Handlungsfreiheit allein reicht nicht (vgl. Haupttext: Handlungsfreiheit und Willensfreiheit); zur Freiheit gehört auch die Fähigkeit, den eigenen Willen selbst
zu bestimmen – Willensfreiheit. Doch was ist Willensfreiheit? Ein zentraler moderner Vorschlag von George E. Moore läuft darauf hinaus, Willensfreiheit ganz analog zu Handlungsfreiheit zu
definieren: Willensfreiheit ist die Fähigkeit, wollen zu können, was man wollen will. Harry Frankfurts so genannte "Hierarchische Theorie" ist der wohl differenzierteste Versuch, diese Grundidee
präzise auszuformulieren. Frankfurt hat diese Theorie in ‘Freedom of the Will and the Concept of a Person‘ (1971) entwickelt und in späteren Aufsätzen (u. a. ‘Identification and Externality‘,
1977; ‚Identification and Wholeheartedness‘, 1987) verteidigt und ergänzt.“ (Peter Schulte, PD Dr. phil., Universität Zürich)
Und so formulierte Albert Einstein 1932 anlässlich eines Vortrages für die Spinoza-Gesellschaft der USA, wie stark er moralische Phänomene in natürliche Phänomene umdeutete: „Unser Handeln ist
getragen von dem stets lebendigen Bewusstsein, dass die Menschen in ihrem Denken, Fühlen und Tun nicht frei sind, sondern ebenso kausal gebunden wie die Gestirne in ihren Bewegungen.“
Zurück zur Corona-Aktualität und ein kleiner Einschub gehobenen Lokalpatriotismus‘. Zu den Fußballfans kann ich mich eigentlich nicht so richtig zählen. Dennoch habe ich verfolgt, wie der SV 98, der Darmstädter Fußballclub, es geschafft hat, zum Saisonabschluss einen guten Platz im Mittelfeld der 2. Bundesliga zu erreichen. Eigentlich gehört Darmstadt in die 1. Fußballbundesliga. Im Ranking der in Deutschland am schnellsten wachsenden Städte ist Darmstadt auch ganz vorne mit dabei. Die Einwohnerzahl von Darmstadt kletterte um 11,4 Prozent auf knapp unter 160 000, Leipzig wächst um 13,7 und Frankfurt am Main mit 10,7 Prozent. Beide Städte spielen in der ersten Liga. Allerdings ist Schalke 04 aus dem weitaus größerem Gelsenkirchen gerade abgestiegen, und der HSV (Hamburg) immer noch nicht wieder aufgestiegen. An der Einwohnerzahl liegt es anscheinend doch nicht. Apropos Fußball: Während der UEFA-Fußball-Europameisterschaft 2020, die im letzten Jahr wegen der Corona-Pandemie auf dieses verschoben wurde, schaute ich mir auch manchmal Spiele im Fernsehen an, meistens Spiele der deutschen Mannschaft. Das Spiel Ungarn gegen Portugal im vollen Stadion in Budapest hat mich sehr aufgeregt, aber nicht im fußballerischen Sinne. Da stimme ich dem Gesundheitsexperten Karl Lauterbach mit seiner Kritik an dem Verhalten der Fans zu, die nach über einem Jahr der Corona-Pandemie offenbar kaum noch an das Virus denken. Zu Bildern des Ungarn-Spiels, die tausende Fans dicht aneinandergedrängt und zumeist ohne Mund-und-Nasen-Schutz beim Feiern im Budapester Stadion zeigten, schrieb der 58-jährige auf Twitter „Diese Bilder zeigen genau das, was die EM vermeiden sollte. Während halb Europa und 95 % der ärmeren Welt noch nicht geimpft sind, verhält man sich so, als ob die Pandemie vorüber wäre. Rücksichtslos und unsportlich.“ Während in München nur 14 000 Fans zugelassen waren, erhielten in Budapest 61 000 Menschen Einlass. Damit waren die Ränge voll belegt, als ob man in Budapest noch nie etwas von der Corona Pandemie gehört hätte. Ich habe dann gelesen, dass ausländische Besucher einen negativen PCR-Test vorlegen mussten, der nicht älter als 72 Stunden sein durfte. Und auch ungarische Fans mussten einen Immunausweis vorzeigen. Diesen erhält man dort nach der Erstimpfung oder einer überstandenen Erkrankung. Die Empfehlung, eine Maske zu tragen, ignorierten die meisten Besucher. Hierzulande und bei allen an der EM teilnehmenden Ländern befasst man sich mit der Frage, wie die Ausbreitung der Delta-Variante von Covid-19 möglichst verhindert werden kann. Das scheint bei der UEFA nicht angekommen zu sein. Aus wahrscheinlich enormem finanziellem Interesse wird das Wohl vieler Menschen verantwortungslos in den Wind geschlagen.
Der englische Premier Boris Johnson hat den „Freiheitstag“, der eigentlich am 21. Juni 2021 geplant war, um einen Monat verschoben. Die gefürchtete, zuerst in Indien nachgewiesene Delta-Variante
des Virus‘ lässt die Corona-Zahlen in England wieder steigen - die Angst vor einer neuen Welle geht um. In England ist die Ausbreitung überwiegend durch junge Erwachsene erfolgt, die noch keinen
oder erst einen Impfschutz haben. Auch Portugal meldet täglich neue Corona-Infektionen mit der Delta-Variante. Die Lockerungen in beiden Ländern kamen wohl verfrüht und sollten Warnsignale für
Deutschland sein. Lauterbach rechnet für Deutschland bis Mitte September 2021 mit einer Herdenimmunität, 80 Prozent der Bevölkerung seien bis dahin doppelt geimpft. Er hat jedoch die große Sorge,
dass insbesondere ungeimpfte Kinder, die oft keine Symptome zeigen, sich aber dennoch infiziert haben, zur Verbreitung beitragen könnten.
Mein Essay wird getragen von tagebuchartigen Aufzeichnungen. Er ist sozusagen mehr eine Berichterstattung, was sich seit der Veröffentlichung des letzten Essays zum Thema Corona getan hat und was
mir wichtig erscheint für zukünftige Pandemien. So ist es zum späteren Nachlesen festgehalten.
Wie geht es weiter mit Corona? Viele Pharmaunternehmen weltweit forschen und entwickeln mit Hochdruck Medikamente gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 und die COVID-19-Infektion. Dieser Tage las ich
eine Mitteilung von BioNTech AG in Mainz, dass sich weltweit mehrere Arzneimittel in klinischer Testung für die Behandlung von COVID-19 befinden oder bereits eine Notfallzulassung erhalten haben.
Sollte BioNTech wieder die Nase vorne haben? Am 22. Juni 2021 sagte BioNTech-Chef Ugur Sahin auf der Hauptversammlung seines Unternehmens, dass er trotz zunehmender Verbreitung von
Virusvarianten derzeit keine Anpassung seines Covid-19-Impfstoffs für nötig hält. „Um vorbereitet zu sein und schnell reagieren zu können, falls eine dritte Dosis oder eine Anpassung an einen
neuen Virusstamm erforderlich werden sollte, analysieren wir kontinuierlich die Wirksamkeit des Impfstoffs, auch gegen neu auftretende Varianten.“ Das klingt alles sehr positiv und könnte
zusammen mit der Durchimpfung die Herdenimmunität und damit eine gute Lösung für die Zukunft bedeuten. Es wäre ein Segen, wenn damit das Virus in einer vierten Welle seinen Schrecken verliert und
die Erkrankung weniger schwer verläuft. Das hängt auch von uns allen ab und von unserer Einsicht weiterhin vorsichtig und achtsam zu bleiben.
Übrigens, der Jahresschlusskurs 2020 der BioNTech AG betrug 30,50 Euro je Aktie und steht dieser Tage bei ~179 Euro, beinahe das Sechsfache. Gratulation an alle Investoren, die auch mit ihrem
persönlichen Finanzengagement Vertrauen in dieses Unternehmen setzten. Für das Protokoll und zum späteren Nachlesen einige Angaben aus Wikipedia zum Unternehmen: BioNTech wurde 2008 auf der
Grundlage langjähriger Forschungsarbeiten, die unter anderem vom Bundesforschungsministerium in der Gründungsoffensive Biotechnologie (GO-Bio) gefördert wurden, von Uğur Şahin, Özlem Türeci und
Christoph Huber als BioNTech RNA Pharmaceuticals GmbH gegründet. Nachdem Anfang des Jahres 2020 der Ausbruch eines neuen Virus in China öffentlich bekannt wurde, begann Mitte Januar das globale
Entwicklungsprojekt Lightspeed, um einen gut verträglichen, potenten Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus in kürzest möglicher Zeit zu entwickeln. Im September 2020 erhielt Biontech durch das
Bundesministerium für Bildung und Forschung die Zusage für staatliche Fördermittel zur Beschleunigung der Produktion von COVID-19-Impfstoffen. Am 21. Dezember 2020 wurde BNT162b2 von der
Europäischen Kommission eine bedingte Marktzulassung erteilt. Der Impfstoff wird offiziell seit 27. Dezember 2020 in Deutschland und weiteren EU-Staaten eingesetzt.
Wenn Sie meine vorher erschienenen Corona-Essays nachlesen möchten, können Sie das auf meiner Website unter https://www.dieter-heymann.de/corona/ Ich freue mich auch sehr, wenn Sie die Rundmail
weiterleiten. Gerne können Sie mir auch Ihre Kommentare (« direkt hier klicken) senden.
Bleiben Sie gesund und optimistisch!
Ihr Dieter Heymann
Corona-Essay (4) von Dieter Heymann
„Meine Gedanken hinter den Nachrichten“
2. Juni 2021
Die Kommunikation mit den Rundmail-Empfängern der Corona-Essays erweist sich einmal mehr als sehr bereichernd für mich und hoffentlich auch für alle Leserinnen und Leser. Für einen Teil ganz bestimmt. Das erkenne ich jeden Morgen, wenn ich eingegangene Emails lese. Kurz nach dem Versandtermin der Rundmails sind es viele, die Anzahl wird dann mit jedem Tag etwas weniger. Und jedes Mal habe ich interessante Zuschriften erhalten. Bei vielen handelt es sich oft auch um Schilderungen privater Erlebnisse in diesen Zeiten.
Wie haben wir eigentlich die Corona-Krise bisher bewältigt? Einige sehen das positiv, sie haben alles recht gut hingekriegt. Andere sind enttäuscht von der Politik, der Wirtschaft, von einigen Wissenschaftlern der Epidemiologie und Virologie, vom Robert-Koch-Institut und der am RKI ehrenamtlich tätigen Ständigen Impfkommission, vom Paul-Ehrlich-Institut und der Europäischen Arzneimittel-Agentur. Vieles sei da schiefgegangen und wurde auf dem Rücken von Pflegekräften und Ärzten ausgetragen. Unsere deutsche Bürokratie mit festgelegten, starren Kompetenzen stand Lösungen im Wege. Nachfolgende Generationen werden fragen, warum es zum Beispiel damals ein solches Chaos im deutschen Föderalismus zwischen Bund und Ländern gegeben hat. Oder warum alte Menschen in den Seniorenheimen weggeschlossen wurden und vielleicht auch warum so viele Menschen in dieser Pandemie gestorben sind und nahe Angehörige nicht zu den Beerdigungen zugelassen wurden. Mir ist das selbst passiert, dass ich nicht bei der Beerdigung meines besten Freundes dabei sein konnte, weil nur fünf Personen am Grab stehen durften.
Ein Leser schreibt mir: „Meine Solidarität gilt nun der Generation meiner Enkel, die zu meinen Gunsten und denen meiner Altersgenossen jetzt schon über ein Jahr still gehalten haben und wohl auch noch etwas still halten müssen! Also: das Schwadronieren über sofortige Rückgabe der Rechte, vor allem dass man wieder golfen, kreuzfahren etc. kann, ist nicht so meine Sache.“
Nach meiner letzten Rundmail telefonierte ich mit meinem amerikanischen professoralen Freund in Kalifornien, einem emeritierten Neuropsychiatrieprofessor, der auch eine bedeutende Rolle in meinem 2018 erschienen Buch „Weise altern“ spielte. Er fragte mich, wie es mir eigentlich geht und wie es mir ergangen ist seit über einem Jahr Pandemie. Und ob ich den Leserinnen und Lesern meiner Corona-Essays nicht einmal etwas Persönliches berichten möchte. Nichts leichter als das. Seit meiner Jugend schreibe ich Tagebuch und in diesen Corona-Zeiten noch regelmäßiger. Ich werde seinen Vorschlag aufgreifen.
Ganz spannend fand ich seinen Bericht über die Situation in den USA. Seine Frau und er selbst hatten die Impfung in einem Supermarkt erhalten. Natürlich sei es auch in Amerika anfangs wesentlich schwieriger gewesen, einen Impftermin zu erhalten, aber jetzt könne man überall eine Impfung bekommen. Impfstoffe seien massenweise vorhanden und man hätte jetzt Probleme sie los zu werden. In USA gäbe es sehr viele Impfgegner, meinte er. Die Impfkampagne käme ins Stocken, weil immer mehr Menschen aus ideologischen oder religiösen Gründen, oder weil sie dem Staat misstrauten, sich nicht impfen lassen wollten. Viele verträten auch die Meinung, eine Impfung reiche für einen ausreichenden Schutz aus, die zweite käme doch nur den Impfstoffherstellern und ihren Zulieferanten zugute, und konkrete wissenschaftliche Beweise für deren medizinische Notwendigkeit gäbe es keine. „So sind sie halt, viele Amerikaner“, bemerkte er lakonisch. Die Deutschen seien ja eher pessimistisch, so seine Einschätzung. In den USA seien die Menschen viel optimistischer, aber auch oberflächlicher und mehr im Augenblick lebend.
Das Verdienst von Donald Trump sei zweifelsfrei, dass er zu Beginn viele Impfstoffe bestellt hätte. Aber auch der neue Präsident Joe Biden hätte gleich nach Amtsantritt Impfstoffe nachbestellt und massive Werbung fürs Impfen gemacht, indem er sich und seine Frau öffentlich impfen ließ. Mein Freund beobachtet das Geschehen aus der Ferne und blickt dabei auf Europa und Deutschland. Die Menschen in Deutschland sieht er in der Pandemie stark frustriert und enttäuscht über die mangelnde Führung der Politik während der Gesundheitskrise. Die Menschen seien kraftlos, so wie sich auch die deutsche Bundeskanzlerin am Ende ihrer Regierungszeit darstelle. Warum habe die Politik das, was in Deutschland passierte, nicht besser im Griff? Warum habe die in der Vergangenheit so stark aufgetretene Angela Merkel nicht alles daran gesetzt, die größte Gesundheitskrise der letzten 100 Jahre besser zu bewältigen? In den letzten zwei Wochen scheine die Stimmung in Deutschland besser zu werden, meint mein amerikanischer Freund. Immer mehr Menschen sähen wirklich Licht am Ende des Tunnels. Sie freuten sich wieder mehr an ihrem Leben, weil sie hoffen, in den nächsten Monaten endlich wieder alles in den Griff zu bekommen.
Ich berichtete ihm von der aktuellen Impfstatistik in Deutschland: Am Sonntag, dem 30. Mai 2021 wurden in Deutschland 270.927 Impfdosen verabreicht. Damit sind 14.615.052 Personen (17,6 % der Gesamtbevölkerung) vollständig geimpft. Insgesamt haben 35.755.407 Personen (43,0 %) mindestens eine Impfdosis erhalten. Ob das so weitergeht, ist abhängig von den Impfstofflieferungen, die immer wieder einmal ins Stocken geraten. Unser Gesundheitsminister Jens Spahn spricht jetzt von der „Spritze für alle ab Juni“. Noch vor den Sommerferien sollen Schüler ab 12 Jahren drankommen. Obwohl Rückmeldungen auf meine Rundmails optimistischer und positiver geworden sind, macht sich auf der anderen Seite auch mehr Ungeduld breit. Die Menschen möchten ihr „altes Leben“ zurückerhalten, wieder ins Restaurant gehen, in ein Flugzeug steigen und Urlaub machen. Die Aussichten sind nicht schlecht, bei rückläufigen Inzidenzwerten stehen Lockerungen der „Bundesnotbremse“ oder sogar deren Aufhebung an. Nach dem Stufenmodell sind seit Montag, dem 31. Mai 2021 auch in Darmstadt Erleichterungen zugelassen. Die Sieben-Tage-Inzidenz hatte zuvor mehrere Tage unter dem Schwellenwert von 50 gelegen und liegt nun aktuell bei 16,9. Dies bedeutet, dass mehr Kontakte und mehr Sport möglich sind, die Gastronomie Plätze für die Bewirtung anbieten darf und im Einzelhandel die Geschäfte wieder Kunden in den Geschäftsräumen bedienen dürfen.
Wie können wir uns mit der Krise versöhnen? Dazu möchte ich Sie wieder mitnehmen auf eine historische Reise durch die philosophische Begriffsgeschichte. Während meines Philosophiestudiums bei Prof. Petra Gehring an der TU Darmstadt habe ich mich im Sommersemester 2009 mit „Philosophischen Krisendiagnosen im 20. Jahrhundert“ beschäftigt. Woher kommt das Wort Krise und was bedeutet es? Der Begriff Krisis ist sehr alt. Die deutsche Übersetzung dafür ist Unsicherheit, bedenkliche Lage, Zuspitzung, Entscheidung, Wendepunkt, auch Meinung und Beurteilung. „Krise“ wird in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen auf sehr unterschiedliche Weise thematisiert: In der medizinischen Bedeutung stellt sie den Wende- oder Scheitelpunkt einer Krankheit dar, zum Leben, zur Gesundung oder zum Tod. Im psychologischen Sinne durchlaufen die meisten Menschen während ihres Lebens mehrere Krisen: In der Kinder- oder Entwicklungs-psychologie sind es die frühkindlichen Trotzphasen, in der Reifezeit die Pubertät, dann folgt die Midlife-Krise und später die Latelife-Krise. Mit Krisis meinte man im 18. Jahrhundert in der Aufklärungsphilosophie das philosophische Urteilsvermögen. Letztlich ist Krise ein moderner Begriff, der erst ab dem 19. Jahrhundert verstärkt gebraucht wird. Die damals neu entstehende Gesellschaftswissenschaft verwendete ihn ebenso wie später die Wirtschaftswissenschaften, die Ökologie und die Systemtheorie als interdisziplinäres Erkenntnismodell, als ein weit verzweigter und heterogener Rahmen für einen interdisziplinären Diskurs. Um 1900 entstand eine Krise, die am ehesten als Lebensreformkrise, Kulturkrise oder ganz allgemein als Entwicklungskrise zu benennen ist. In diesem Zusammenhang schuf man neue wissenschaftliche Disziplinen, eben wie die Soziologie und Psychologie.
Wie muss das 1859 erstmals erschienene Werk „On the Origin of Species“ (Die Entstehung der Arten) von Charles Darwin, in der er die biologische Evolution beschreibt, die Menschen in eine tiefe Krise gestürzt haben. Darwin führt den Begriff der „natürlichen Selektion“ ein, als Reduzierung des Fortpflanzungserfolgs bestimmter Individuen einer Population mit der Folge, dass andere Individuen, die sich „überlebenstüchtiger“ erweisen sich stärker vermehren. Damit verbunden ist die sexuelle Selektion in der Auswahl von Individuen durch die Sexualpartner. Entscheidend ist nach Darwin, dass Erbanlagen derjenigen Merkmale weitergegeben werden, die von den Sexualpartnern bevorzugt werden, auch als künstliche Selektion in einer vom Menschen gesteuerten Zuchtwahl. Sie steigert den Fortpflanzungs-erfolg jener Individuen, welche die vom Züchter geförderten Eigenschaften besitzen. Darwins Theorien waren damals in aller Munde und wurden heftig und kontrovers vor allem in intellektuellen Kreisen diskutiert. Die gesellschafts- und insbesondere die religions-politischen Auswirkungen konnte man nicht überblicken und hatte gerade deshalb große Angst davor. Wenn wir mit Darwin verstanden haben, wie biologische Entwicklung funktioniert, stellt sich die Frage, dürfen wir in das Geschehen eingreifen, und ist das ethisch vertretbar?
Sie sehen, alles wiederholt sich, wellenförmig und in Zyklen. Ist die heute diskutierte Frage in der Pandemie nicht ganz ähnlich? Damals wie heute, müssen sich die Menschen ganz neuen Fragen stellen. Heute fragen wir bei der Begrüßung nicht mehr, „Wie geht’s“, sondern eher „Bist du schon geimpft?“ Oder wie gerecht sind Priorisierungsgruppen in der Impfkampagne? „Solange der Corona-Impfstoff knapp ist, muss bei der Vergabe priorisiert werden“, heißt es.
Charles Darwin, einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts, stellte die Menschheit mit seiner Evolutionstheorie vor ganz besondere, grundlegende Fragen. Daran möchte ich nur in Auszügen einmal erinnern. „Sollte man einem kleinen Neugeborenen jegliche Hilfe zum Überleben geben oder seiner von der Natur aus gegebenen Schwäche überlassen? Wie ist das mit den Armen, Kranken und Hilflosen, soll man ihnen helfen oder sie ihrem Schicksal überlassen? Was ist der bessere Weg für sie?
Ist die gerade neu erwachsene Kultur ein Fortschritt oder ein Nachteil für den Menschen? Ist es gut oder schlecht, wenn die Menschen mit immer mehr Fortschritt und Wohlstand leben?“ Plötzlich bekam man es mit der Angst zu tun und stellte Kardinalfragen. Stecken wir in der Zeit des Niedergangs und Zerfalls? Haben wir ein Ressourcenproblem? Werden wir Europäer von der Vitalität der Inder und Chinesen schon bald überholt? Woran sind eigentlich untergegangene Kulturvölker gescheitert? Es wurde über Degeneration und Dekadenz gesprochen. Diese und viele andere Fragen waren Gegenstand fortschrittlicher Diskussionen, nicht nur der Intellektuellen jener Zeit.
Wie wir schon gehört haben, beinhaltet eine Krise immer auch einen Appell zum Handeln. Und um 1900 ging es auch um eine Reform der Ethik. Ethik bedeutet eine Auswahl von Werten und wenn diese
verändert werden, verändert sich damit auch die Gesellschaft. Das erklärt auch das Entstehen neuer Wissenschaften, die Forderung nach mehr Empirie. Man braucht mehr Wissen über die Gesellschaft,
über ihren physiologischen Zustand (Anthropologie), auch über das Verhalten der Menschen, ihrem Zusammenleben (Psychologie) und der Soziologie.
Gleichzeitig kam in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die Krise der Philosophie. Man konnte einen so genannten linken „Sozialdarwinismus“ ausmachen, der sich auf Karl Marx (1818 – 1883) und
einen rechten, der sich auf Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) berief. Marx führte im damaligen recht stabilen wilhelminischen Deutschland die Kapitalismuskritik an und Nietzsche forderte
die „Umwertung aller Werte“ und kritisierte den blinden Naturwissenschaftsglauben.
Die nächste Krise kam mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges im September 1914. Er wurde zunächst in vielen Kreisen der Bevölkerung begeistert begrüßt. Der Krieg als Schmelz- und Wendepunkt, der die Welt verändern sollte, brachte 1918 doch große Ernüchterung. Siebzehn Millionen Tote, mehr als je ein anderer Krieg zuvor, Verlust von Territorien, Abdankung des Kaisers. Das epochale Werk „Der Untergang des Abendlandes“ von Oswald Spengler, (1918, 1922) eines der meist gelesenen Bücher des 20. Jahrhunderts, beschwört den bevorstehenden Untergang der alten Welt. „Der Glaube an eine immer besser werdende Zukunft ist illusionär“, schrieb Spengler. Er arbeitete gleiche Gesetzmäßigkeiten für das Entstehen und Vergehen von Kulturen heraus. Nach ihm gibt es eine Anfangsphase, die Hochblütenphase, die eigentliche Kultur, dann das Erstarren in Nostalgie der guten alten Zeit, in eine bloße Zivilisation. Der Erste Weltkrieg war für Spengler der Beweis, dass sich Europa in der Phase der Zivilisation befindet, keine Kultur mehr, nur noch Zivilisation. Nach Spengler waren die griechische Antike und das 18. Jahrhundert Hochphasen der Kultur.
In den 1930er Jahren erschien eine Arbeit des Philosophen Edmund Husserl (1859 – 1938) über „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie“. Darin kritisiert der Autor, dass die modernen Wissenschaften ihren Kontakt zur Welt verlieren. Die Spaltung der immer weiter auseinanderdriftenden Natur- und Geisteswissenschaften müsse überwunden werden. Martin Heidegger (1889 – 1976), der Schüler von Husserl, möchte, dass die Philosophie allen anderen Wissenschaften als „Führer“ vorangehen soll, weil wir sonst in der modernen Welt unsere Wurzeln verlieren. Naturwissenschaften werden oft als „erklärende“ Wissenschaften verstanden, Geisteswissenschaften, wie die Philosophie, werden den „verstehenden“ Wissenschaften zugeordnet. Heute wird fast alles erklärbar und es ist nur eine Frage der Zeit, dass das bislang Unerkannte früher oder später auch erklärbar wird. Die prägnanteste Formel vom französischen Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes (1596 - 1650) „Ich denke, also bin ich“ („Je pense, donc je suis“)) weist darauf hin, dass der Mensch aufgrund seines Geistes in der Lage ist, alles zu erkennen, wenn er es denn nur angeht und erforscht. Ein unerschütterlicher Glaube an die Wissenschaft durchdringt nicht nur die akademische Welt, auch die Alltagswelt, die „Lebenswelt“, und bringt eine völlig neue Weltanschauung. Der Philosoph als „Funktionär der Menschheit“ (Husserl) habe die Aufgabe, die „Lebenswelt“ den Menschen näher zu bringen, sie ihnen zu erklären.
Die wohl schlimmste Krise des 20. Jahrhunderts, wenn man sie überhaupt so bezeichnen kann, wurde verursacht durch das verbrecherische NS-Regime, Ausschwitz und den Zweiten Weltkrieg. Lassen Sie
mich in diesem Zusammenhang auf vier Philosophen dieser Zeit kurz hinweisen. Max Horkheimer (1895 – 1973) Sozialphilosoph, Theodor W. Adorno (1903 - 1969) Philosoph, Soziologe, und
Musiktheoretiker, Hannah Arendt (1906 – 1975) eine jüdische, deutsch-amerikanische Publizistin und Gelehrte und Karl Jaspers (1883 - 1969) ein deutscher Psychiater, der als Philosoph weit über
Deutschland hinaus bekannt wurde. Die Professoren der so genannten „Frankfurter Schule“ Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, entstammten jüdischen Familien und wurden ins Exil getrieben. Der
Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb hatte in seiner Neujahrsbotschaft von 1947 die emigrierten jüdischen Bürger aufgefordert „trotz aller Not und allen Misstrauens“ zurückzukehren. Gerade
jetzt bräuchten die Universitäten kluge und demokratisch gesinnte Hochschullehrer. Horkheimer und Adorno folgten dem Ruf und kamen. Horkheimer wurde bereits 1951 Rektor der Goethe-Universität in
Frankfurt.
Horkheimer und Adorno fordern nach der Rückkehr aus dem amerikanischen Exil „die kompromisslose Revision der Moderne nach Ausschwitz“. Hannah Arendt ist für eine genaue Analyse des Totalitarismus
und Karl Jaspers will die Schuldfrage genauestens geklärt haben. Adorno formulierte noch radikaler kurz nach Kriegsende, er sieht „das Recht zu philosophieren nach Ausschwitz ein für alle Mal
erloschen“. Hannah Arendt weist darauf hin, dass „die Philosophie nie gekannte Gefahren der Moderne sehen lernen muss“. Karl Jaspers steht für eine radikale Wende hin zu Moral.
Die nächste Krise beruhte auf einem der schrecklichsten Ereignisse der Weltgeschichte, denn kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges folgte ohne Atempause am 6. August 1945, die erste
Atombombe auf Hiroshima und am 9. August 1945 die zweite auf Nagasaki als Ende konventioneller Kriege und als Beginn des Nuklearzeitalters. Zum ersten Mal mussten sich Menschen bewusst machen,
dass sie mit der Technik in die Lage versetzt werden, nicht nur einzelne Landstriche oder einzelne Bevölkerungen zu vernichten, sondern die komplette Menschheit, alles Leben auf der Erde
überhaupt. Der Bedrohung durch die Atombombe erfolgte kurz danach eine noch fatalere mit der Wasserstoffbombe, die in unvorstellbarem Ausmaß Vernichtungsgewalt hat. Der Mensch verfügte mit diesen
Bomben über ein Zerstörungsinstrument, das sein Vorstellungsvermögen überschreitet.
Was sagt der Diskurs der Philosophie dazu? 1955 meldet sich der britische Philosoph Bertrand Russell (1872 – 1970) mit dem so genannten Russell-Einstein-Manifest zu Wort. Ein hauptsächlich von
ihm 1955 in London verfasstes Manifest über die Folgen eines Einsatzes von Nuklearwaffen. Es wurde von zehn namhaften Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern, darunter acht Physiker, auch von
Albert Einstein, unterzeichnet und als offener Brief an alle Großmächte bzw. Atommächte geschickt. Die Menschheit, zu allererst die Großmächte, sollten sich bewusst werden, dass mit dem Einsatz
von Wasserstoffbomben nicht nur Städte ausgelöscht werden können, sondern die Existenz der gesamten Menschheit bedroht wird. Sie sollten erkennen, dass die Atomkrise alle bisher bekannten
Bedrohungen bei weitem überschreitet.
Julius Robert Oppenheimer (1904 - 1967), US-amerikanischer Physiker deutsch-jüdischer Abstammung, wurde vor allem während des Zweiten Weltkriegs für seine Rolle als wissenschaftlicher Leiter des Manhattan-Projekts bekannt. Dieses streng geheim gehaltene Projekt hatte zum Ziel, die ersten Nuklearwaffen zu entwickeln. Robert Oppenheimer gilt als „Vater der Atombombe“. Er verurteilte jedoch ihren weiteren Einsatz, nachdem er die Folgen bei den japanischen Städten gesehen hatte. Nach dem Krieg arbeitete Robert Oppenheimer als Berater der neu gegründeten amerikanischen Atomenergiebehörde und nutzte diese Position, sich für eine internationale Kontrolle der Kernenergie und gegen ein nukleares Aufrüsten zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten einzusetzen.
Die heutigen Philosophen fordern die Rückbesinnung auf die eigene Menschlichkeit und die bewusste Entscheidung gegen bewaffnete Konflikte. Nur so könne der Fortbestand der Menschheit gesichert
werden. Christliche und mittelalterliche Lehren vom Ende der Welt waren in der Moderne bis dahin veraltet. Jetzt plötzlich werden das Irreale, Fiktionale früherer Zeiten und die Horrorspiele am
PC Wirklichkeit. Krieg war eine Möglichkeit, wie Menschen über Menschen herrschen konnten. Völlig neu ist jetzt die Vernichtung der Menschheit durch Menschen.
Mit dieser Bedrohung leben wir bis heute, insbesondere durch die jüngeren Atommächte China, Indien, Pakistan, Israel, Nordkorea und Iran. Es ist eine Illusion zu glauben, wir lebten in einer
stabilen Welt. Wir sind vergänglicher als die gesamte Menschheit vor uns. Wir leben in einer Krise, die niemals mehr enden wird. Das sei im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in Erinnerung
gerufen.
Wir erinnern uns vieler Krisen. Wie harmlos erscheinen sie doch im Rückblick: Korea-Krise, Vietnam-Krise, Bildungskrise, Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Börsenkrise, Umweltkrise, Klimakrise, Ölkrise und andere. Im Gegensatz zur Atomkrise gab es bei diesen Krisen immer ein davor und danach. Und immer einen Zeitpunkt der Entscheidung. Und wie schnell sind sie wieder aus unserem Bewusstsein verschwunden. Die Geschichte lehrt uns, dass Krisen stets in einer Wellenbewegung und zyklischen Abfolgen erscheinen. Sehr schnell erkennt man in früheren Krisen auch ein Freund-Feind-Schema. Es gab meistens ein „Wir“ und die „Anderen“. Aber alle neuzeitlichen Krisen sind weltweite Krisen. In unserer globalisierten Welt nehmen Verflechtungen in vielen Bereichen immer mehr zu. Zwischen Individuen, Gesellschaften, Institutionen und Staaten gibt es kein „Wir“ und die „Anderen“ mehr. Und ein Corona-Virus nutzt das aus.
Zurück zur weltweiten Gesundheitskrise durch Corona. Sie zwingt zum Handeln, zur Entscheidung in einer Form, so oder so, vermutlich auch ein Grund, weshalb Krisen auch nützlich sein können. Der Rückblick zeigt, dass man sich von einer Krise auch immer etwas erhoffen konnte, Heilsames, Wohltuendes und manchmal sogar Rettendes. Das kennen wir aus eigener Erfahrung. Obwohl Wissenschaftler vor diesem Virus gewarnt haben, wurde er doch nirgends auf der Welt so richtig ernst genommen. Offensichtlich haben wir alle Fehler gemacht. Heute steht noch nicht fest, welcher Weg zur Überwindung der Krise der richtige ist, das werden spätere Generationen analysieren.
Meine Frau und ich sind jetzt vollständig geimpft. Wir sind froh und dankbar in einem Land zu leben, in dem das möglich ist. Die medizinische Fachangestellte unserer Hausarztpraxis, die uns impfte, berichtete von vielen fröhlichen und dankbaren Patientinnen und Patienten, die die ersehnte Spritze erhalten und als Akt der Befreiung empfunden haben.
Wie wir uns mit der Krise versöhnen können, fragt Matthias Horx in seinem Denk-Experiment „Frieden mit Corona“: „Wir stellen uns Wandel gerne als einen heroischen Akt vor. Als ‚Große Läuterung‘, aus der wir wie Phönix aus der Asche zu neuen moralischen Ufern streben. Aber die Wahrheit der Krise zeigt uns: Wandel besteht aus vielen kleinen Erkenntnissen, Einsichten, Wahrnehmungen, die uns befähigen, eine neue Wirklichkeit zu erzeugen. Wandel entsteht, indem wir in ihn hineinwachsen. Wir leben, wie der israelische Philosoph Gershom Scholem [1892 -1987] einmal sagte, in ‚Plastischen Zeiten‘. Wenn wir jetzt handeln, wird alles anders. Die Vergangenheit können wir nicht ändern. Gegenwart und Zukunft schon. Die Zukunft entsteht aus ÜBERstandenen, aber auch VERstandenen Krisen.“ www.horx.com/die-zukunfts-kolumne
Was können wir aus der aktuellen Krise lernen? Themen wie der Klimawandel oder die rasant zunehmende Digitalisierung unseres Lebens sind durch die Corona-Krise etwas ins Hintertreffen geraten. Wir werden uns mit diesen Themen genau so intensiv beschäftigen müssen, wie mit der Nachbearbeitung der Pandemiefolgen. Wir dürfen uns niemals wieder so unvorbereitet von einer Gesundheitskrise überraschen lassen. In einem Interview sagte kürzlich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble „Wir können nicht so weitermachen, es gibt einen Zusammenhang zwischen der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und Pandemien. Wir müssen zu einem maßvolleren Leben zurückfinden.“
Und hier kommt die versprochene Tagebucheintragung: Dieser Tage wurden wir mit einem sehr positiven Ereignis unseres ältesten Enkels überrascht. Er hat seinen ersten akademischen Abschluss, den Informatik Bachelor of Science (B.Sc.) an der Eberhard Karls Universität Tübingen mit einem sehr guten Erfolg bestanden. Die stolzen Großeltern freuen sich gemeinsam mit ihm und der Familie.
Ganz herzlich möchte ich mich bei meinem Freund Dr. Immo Grimm bedanken für die kritische Durchsicht aller meiner bisher veröffentlichten Corona-Essays.
Wenn Sie meine vorher erschienenen Corona-Essays gerne nachlesen möchten, können Sie das auf meiner Website unter https://www.dieter-heymann.de/corona/ Ich freue mich auch sehr, wenn Sie die
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Bleiben Sie gesund und optimistisch!
Ihr Dieter Heymann
Corona-Essay (3) von Dieter Heymann
„Meine Gedanken hintern den Nachrichten“
12. Mai 2021
Zustimmung und Lob habe ich wieder zu meinem letzten Corona-Essay erhalten. Einige Fragen und Diskussionen ermuntern mich zur Beantwortung und zur weiteren Vertiefung. Wir leben in einer Zeit, die wir uns so nicht vorstellen konnten. Bei den Corona-Impfungen gibt es deutliche Fortschritte. Es besteht eine realistische Prognose, dass bis zum August mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland zum zweiten Mal geimpft ist. In der letzten Aprilwoche begann eine heftige Diskussion, ob Geimpfte ihre Grundrechte zurückerhalten. Ist es nicht aus juristischer Sicht aber genau umgekehrt? Der Staat ist doch in der Pflicht, die Einschränkung der Freiheitsrechte seiner Bürger zu begründen, nicht der Bürger die Wahrnehmung seiner Freiheitsrechte. Warum wir dann auch noch bis Ende Mai warten sollen, ist mir nicht verständlich. Unsere Freiheitsrechte gelten laut dem Grundgesetz unabhängig von einer Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Wir brauchen uns im Augenblick nicht darüber zu wundern, wenn die Zahl derer zunimmt, die eine vernünftige und nachvollziehbare Politik fordern.
Der Leiter des Ressorts „Natur und Wissenschaft“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Joachim Müller-Jung berichtete dieser Tage von den sensationellen Ergebnissen der Impfkampagnen in Israel und Großbritannien. „Mehr als 98 Prozent weniger Ansteckungen in Israel seit dem Höhepunkt der letzten Infektionswelle Mitte Januar. In Großbritannien sind ähnliche Effekte auch schon seit Wochen deutlich zu erkennen, obwohl dort die Mehrheit erst eine Impfdosis erhalten hat. […] Tatsächlich glauben die meisten Wissenschaftler an den Populationseffekt des Impfens – die Impfstoffe schützen nicht nur annähernd vollständig vor einer schweren Covid-19-Erkrankung, sie schützen offensichtlich auch fast ebenso gut vor Ansteckung und Übertragung“. Müller-Jung schreibt von einer „Grauzone des Immunsystems“, viel spräche dafür, dass Geimpfte das Virus kaum noch verbreiten können, doch den Wissenschaftlern fehle es noch an belastbaren Daten. Und auch eine entscheidende Frage, wie lange der Infektionsschutz nach der Impfung eigentlich hält, sei noch nicht geklärt. Dennoch freue ich mich über das langsam aufgehende Licht am Ende des Tunnels.
Eigentlich wollte ich die Begriffe „Verschwörungstheorie“ und „Querdenker“ im Zusammenhang mit der Pandemie in meinem Essay nicht aufgreifen. In einigen Rückmeldungen wurde es thematisiert. Jetzt reizt es mich, diesen Begriffen nachzugehen und zu schauen, wo sie eigentlich herkommen und was sie genau bedeuten. Bei einem sogenannten „Querdenkerclub“ in Österreich und natürlich im Internetlexikon wurde ich fündig:
Was heißt Querdenken? Nachdem Querdenken im 19. Jahrhundert eher Hilflosigkeit bedeutete, findet sich die derzeit erste Erwähnung eines positiv belegten Begriffes Querdenker 1915 im Zusammenhang mit der „Riesenphantasie“ Münchhausens.
Bisher wurde die Fähigkeit zu „lateralem Denken“, auch „Querdenken“ genannt, als eine Denkmethode, „die im Rahmen der Anwendung von Kreativitätstechniken zur Lösung von Problemen oder Ideenfindung eingesetzt werden kann“ und bei Problemlösungen meist positiv bewertet wird. Seit der Pandemie bedeutet diese Denkungsart eine verbale Stigmatisierung einer Person mit negativer Konnotation. Sicher hat das Internet zu dieser Verbreitung beigetragen.
Verschwörungstheorien oder Verschwörungsmythen erfüllen ganz unterschiedliche persönliche und soziale Funktionen. Eine der wichtigsten scheint zu sein, dass Verschwörungsmythen den Menschen eine Erklärung für bedrohliche und unwahrscheinliche Situationen bieten, auch nachzulesen in verschiedenen Studien. Beispiel: Bei einem Experiment löste man bei einem Teil der Versuchspersonen gezielt ein Gefühl von Kontrollverlust aus. Im Gegensatz zur Vergleichsgruppe neigten die verunsicherten Probanden danach stärker dazu, eine Verschwörung zu wittern. Die gute alte Brockhaus Enzyklopädie, in der ich immer noch gerne blättere, versteht unter Verschwörung „eine geheime Verbindung mehrerer zu unerlaubten Zwecken, besonders zur Zersetzung staatlicher Einrichtungen, zum Umsturz der Verfassung, zur Begehung politischer Straftaten“. In der Corona Pandemie mag sie auch für andere Menschen ein Mittel der Kritik und Unzufriedenheit an Autoritäten auszudrücken. Kommt man an diese Menschen, die sich von Verschwörungstheoretikern mit kolportierten Halbweisheiten oder nur Meinungen haben überreden lassen, überhaupt noch mit Sachargumenten heran? Ich frage dann meistens, woher sie das alles so genau wissen? Oft sieht es doch so aus, dass es ihnen um eine Strategie gegen ihre Unsicherheit, Machtlosigkeit und Angst bei ihnen selbst geht, aber sie lassen sich nicht von ihrer für wahr gehaltenen Überzeugung abbringen.
Seit der Antike gibt es den Begriff der „Paranoia“. Heute wird in der Medizin Wahn in der Regel als krankhafte Fehlbeurteilung der Realität verstanden, die erfahrungsunabhängig auftritt und an der mit völliger Gewissheit trotz vernünftiger Gegengründe und ausreichender Intelligenz festgehalten wird. Sigmund Freud (1856-1936) fragte sich bei der Formulierung seiner Theorie der Paranoia, „ob in der Theorie mehr Wahn enthalten ist, als ich möchte, oder in dem Wahn mehr Wahrheit, als andere heute glaublich finden“. Daraus resultiert für Betroffene ein besonders ausgeprägtes, existentielles Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit. Psychologie und Soziologie erklären das folgendermaßen: Wenn Menschen aufgrund privater Problemlagen oder gesellschaftlicher Krisen das Gefühl haben, keine Kontrolle mehr zu haben und sich ohnmächtig fühlen, versuchen sie Strategien zu finden, um damit umzugehen – und Verschwörungserzählungen können so eine Strategie sein. Der Zufall spielt dann weniger eine Rolle, es gibt Muster und die Welt wird begreifbarer. Wenn Menschen in Unsicherheit leben, sind sie empfänglicher für Verschwörungsdenken – wie heutzutage in der Corona Pandemie. Wer beispielsweise seinen Job verliert oder unter unsicheren Bedingungen arbeitet, meint eher, dass „obskurante Hintermänner“ im Geheimen das Weltgeschehen lenken, wie mir kürzlich ein Freund über „moderne Machthaber“ und „Staatslenker“ berichtet hat. Das verdeutlicht auch ein wenig die gesellschaftliche Dimension von Verschwörungsdenken. Der Glaube an eine Verschwörung kann für sie sinnstiftend sein und ihnen die Welt erklären. Das eine oder andere Mal ist es mir gelungen, mit jemanden im privaten Bereich persönliche Dinge zu besprechen. Ich spürte dann seine persönliche Angst vor den Folgen dieser Pandemie im sozialen und wirtschaftlichen Umfeld. Unser aller Wissen ist begrenzt, und mit einem gegenseitigen Austausch kann man sich zwar gegenseitig stärken, aber einen paranoiden Querdenker wird man nicht von seiner Wahnvorstellung abbringen.
Regelmäßig erhalte ich den Newsletter von Quarks, den ich allen wissbegierigen Menschen nur empfehlen kann. Unter https://www.quarks.de/ können Sie sich anmelden. Wenn Sie zum Beispiel einmal etwas über die „Herdenimmunität“ erfahren wollen, können Sie gerne hier anklicken und erhalten einen hochinteressanten Podcast, der in nur fünf Minuten komplizierte Zusammenhänge allgemeinverständlich darstellt. Ich wünsche Ihnen viele gute neue Erkenntnisse bei quarks.de
Dort habe ich auch folgende Studie gefunden, in der Forschende sieben Merkmale des konspirativen Verschwörung (?) Denkens ausgemacht und sie mit dem englischen Akronym CONSPIR (conspiracy = Verschwörung) zusammengefasst haben:
C = Contradictory = Widersprüchlichkeit: Verschwörungsgläubige können an Ideen glauben, die sich gegenseitig widersprechen. Laut einer Umfrage der Universität Erfurt glauben zehn Prozent der Befragten sowohl, dass das Corona Virus nicht existiert, als auch, dass es eine Biowaffe aus dem Labor ist.
O = Overriding Suspicion = Generalverdacht: Der Verschwörungsglaube geht über gesunde Skepsis hinaus. So entsteht durch extremes Misstrauen eine prinzipielle Ablehnung gegenüber offiziellen Erklärungen.
N = Nefarious intent = Üble Absichten: Anhänger von Verschwörungstheorien gehen immer davon aus, dass der Gesellschaft geschadet werden soll. Es gibt keine Verschwörungserzählung, die positive Beweggründe unterstellt.
S = Something must be wrong = Etwas stimmt nicht: Verschwörungstheoretiker sind sich sicher, dass die gängige Erklärung auf jeden Fall falsch ist – selbst wenn sie Einzelheiten ihrer eigenen Erzählung mal fallen lassen, ändern oder neu bewerten, bleiben sie dabei, dass “die da oben” [„moderne Machthaber“ und „Staatslenker“] etwas im Schilde führen.
P = Persecuted Victim = Opferrolle: Verschwörungsgläubige nehmen sich gleichzeitig als Opfer der Gesellschaft und als mutige Helden im Kampf gegen den Mainstream wahr.
I = Immune to Evidence = Immun gegen Beweise: Gegenbeweise oder Widerlegungen prallen in der Regel an Verschwörungserzählungen ab. Kritik kann sogar dazu führen, dass Anhänger noch stärker an ihre Theorie glauben.
R = Re-interpreting Randomness = Zufälligkeiten uminterpretieren: Zufällige, eigentlich unwichtige und nebensächliche Ereignisse (etwa wie oft ein bestimmter Buchstabe in einem Text vorkommt) werden stets so interpretiert, dass sie zur Verschwörungserzählung und einem vermeintlich zusammenhängenden Muster passen.
Was ist eigentlich der Unterschied einer Epidemie zu einer Pandemie?
Eine Leserin meiner Corona-Essays bat mich, zur Klarstellung beizutragen, was denn der Unterschied einer Epidemie zur Pandemie ausmacht:
Bei einer Epidemie tritt eine Erkrankung zeitlich und örtlich begrenzt auf, zusätzlich gibt es eine starke Häufung von Krankheitsfällen. Zu den epidemisch auftretenden Krankheiten gehören zum Beispiel die Grippe, Pest, Cholera, Typhus und Kinderlähmung. Eine Pandemie ist nicht regional begrenzt. Sie erstreckt sich über mehrere Länder und Kontinente. Sie kann im Gegensatz zu einer Epidemie über mehrere Jahre andauern. Dazu gehören Aids und weltweite Grippepandemien, wie zum Beispiel die Spanische Grippe 1918, die Asiatische Grippe 1957 oder die Hongkong Grippe 1968. Das Corona-Virus breitete sich von China weltweit aus und hat sich folglich von einer Epidemie zu einer Pandemie entwickelt.
Wichtig ist mir auch festzuhalten, wie solche Infektionskrankheiten entstehen. Neuartige Viren lösen Krankheitswellen aus, die eine Vielzahl von Erkrankten umfassen. Da der Körper neue Viren noch
nicht erkennt, kann das Immunsystem ihn nicht schützen. Auch bei den jährlichen Grippewellen entwickeln sich immer neue Virenformen. Auch jetzt sprechen wir beim Corona-Virus von neuen Mutanten.
Oft bietet auch eine Grippeimpfung keinen Schutz mehr, da der Impfstoff auf den Viren basiert, die während der Entwicklung des Impfstoffes existierten und nicht auf neue Mutanten. Die mutierten
Viren können sich ausbreiten. So entsteht eine Epidemie oder Pandemie. Wer an derlei Fragen interessiert ist, findet auch hierzu interessante Antworten im Internet: https://www.praxisvita.de/
Corona und die Antoninische Pest
Im letzten Corona-Essay befasste ich mich mit Hufeland und thematisierte sein 1796 erschienenes Buch den Ratschlägen zur Vermeidung „kontagiöser Gifte“. Heute nehme ich Sie wieder mit auf eine Zeitreise, dieses Mal in die Amtszeit des römischen Kaisers Mark Aurel (121-180 n. Chr.). Er war von 161 bis 180 Kaiser des Großrömischen Reiches. Er wurde der „stoische Philosophenkaiser“ genannt, weil er als Philosoph sich viel mehr für die griechische Philosophie interessierte als Krieg zu führen. Als Nachfolger seines Adoptivvaters Antoninus Pius nannte er sich selbst Marcus Aurelius Antoninus Augustus. Was bedeutet eigentlich „Stoa“? Es ist eine an Rück- und Schmalseiten geschlossene Halle, deren offene Vorderfront durch Stützen in Form von Säulen, gegliedert ist. Als Stoa wird auch eines der wirkungsmächtigsten philosophischen Lehrgebäude in der abendländischen Geschichte bezeichnet, weil viele Philosophen ihre Weisheiten in dieser Säulenhalle auf dem Versammlungs- und Marktplatz von Athen den Menschen vorgetragen haben. Hier sprach auch Zenon von Kition um 300 v. Chr., der als Begründer der stoischen Philosophie galt.
Die Aufgaben römischer Kaiser bestanden in erster Linie darin, sich gegen ihre Nachbarn durchzusetzen, und durch viele Kriege und Bündnisse gelang es ihnen, ihr Einflussgebiet immer weiter auszudehnen. Kaiser Mark Aurel gab in schwierigen Zeiten von Kriegen, Naturkatastrophen und Epidemien immer seinem Volk Hoffnung, Trost und Unterstützung. Obwohl seine Erziehung auf die Machtübernahme als römischer Kaiser ausgerichtet war, interessierte Aurelius sich mehr für die griechische Philosophie. Verteidigungskriege delegierte er an seinen Adoptivbruder Lucius Verus, den er zu seinem Mitkaiser ernannte. Als die Parther, eine Volksgruppe im heutigen Iran, Roms neuen Kaiser testen wollten, indem sie Armenien einnahmen und nach Syrien einmarschierten, war es Lucius Verus, unter dessen Führerschaft die römischen Legionen die Parther gründlich geschlagen haben. Vielleicht ist ihm dies aber nur deshalb gelungen, weil ein Großteil der Parther von einer unbekannten Seuche geschwächt war. Aber die römische Armee infizierte sich auch mit der bis dahin unbekannten Krankheit und brachte sie 168 n. Chr. nach Rom.
Es war die Antoninische Pest, eine der ältesten, historisch überlieferten Pandemien. Sie herrschte in den Jahren von 165 bis 180 nahezu im gesamten Gebiet des Römischen Reiches und wurde nach dem zweiten Namen des römischen Kaisers Mark Aurel benannt.
Wir schreiben das Jahr 169 n. Chr. Seit dem Beginn der 60er-Jahre bis in das 2. Jahrhundert n. Chr. herrschte immer wieder Krieg mit den Parthern, deren Reich sich über die Territorien der heutigen Länder Syrien, Osttürkei, Iran und Irak erstreckte, also über jene Gebiete, die auch heute noch als "Krisenherde" gelten. Sein Mitkaiser Lucius Verus, ein genialer Stratege, löste zwar das Problem im Osten und beendete den Krieg siegreich, doch gleichzeitig erheben sich die germanischen Stämme nördlich der Donau. Sie überschritten die Donaugrenze, um über die Bernsteinstraße, die von Carnuntum nach Aquileia bei der Lagune von Grado (Italien) führt, die durch die Abwesenheit der römischen Truppen bedingte Gunst der Stunde zu nutzen.
An einem neuralgischen Punkt hatten die Römer ein Militärlager eingerichtet. Es wurde beim Ausbruch der Seuche zu einer Quarantänestation. Von Norden waren die germanischen Aggressoren in Schach zu halten und von Osten die Antoninische Pest zu bewältigen. Mark Aurel musste seine Truppen aus dem Nahen Osten an die Donau, in das Gebiet des heutigen Österreich (Noricum) und Ungarn (Pannonien) verlegen. Der römische Arzt Galen (Aelius Galenus von Pergamon) reiste auf Wunsch von Mark Aurel nach Aquileia an die obere Adria, wo die Epidemie unter den aus dem siegreichen Orientfeldzug heimkehrenden Soldaten bereits heftig grassierte. Die Soldaten schleppten das Bakterium ein, welches im Nildelta von Ägypten in einzelnen Ortschaften bereits 70 bis 90 Prozent der Bevölkerung dahingerafft hatte. Galen beschrieb die Symptome der Krankheit mit Fieber, Ausschlägen und Bläschen, alles deutete auf eine Pest-Epidemie hin. Sie verbreitete sich rasend schnell unter dem Militär und in der Folge auch unter der Zivilbevölkerung über das gesamte Römische Reich. Der Mitkaiser Lucius Verus starb selbst 169 n. Chr. an der Krankheit.
Kaiser Mark Aurelius reagierte auf die Doppelbedrohung mit Truppenverstärkung an den Grenzen und Einrichtung von weiteren Quarantänestationen. Das Mutterland Italien war aber sowohl von den Germanen als auch durch die eigenen infizierten Soldaten und Bewohner bedroht. Der Kaiser richtete daher die Praetentura Italiae et Alpium, eine an den Ausläufern der Alpen gelegenen, stark gesicherten Militärzone für Italien ein und schloss sofort alle Grenzen. Das Sperrgebiet hatte eine Ausdehnung von ca. 150 Quadratkilometern, in dem befestigte Lager mit Quarantänestationen lagen. Die Einrichtung der Quarantänestationen ist gerade heute von großer historischer Bedeutung. Es lässt sich nachverfolgen, in welcher Reihenfolge, mit welchen Prioritäten die Gebäude im Lagerinneren errichtet und welche Strategien und Akutmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in Oberitalien im Jahr 169 n. Chr. ergriffen wurden.
Man baute zuerst einen Mauerring um das große Gelände. Im Inneren konzipierte man ein umfangreiches Netz von zum großen Teil geschlossenen Abwasserkanäle. Dann errichtete man als erstes Gebäude ein für damalige Zeiten riesiges Valetudinarium, ein 8 250 Quadratmeter großes Krankenhaus, durch Ausgrabungen nachgewiesen. Daneben ein 2 500 Quadratmeter großes Horreum, ein Riesenspeicher für Getreide, mit dessen Volumen man 5 000 Menschen ein Jahr lang versorgen konnte. Das Krankenhaus hatte 34 Abteilungen in denen 500 Infizierte medizinisch versorgt und isoliert wurden, einschließlich der Quarantänestationen. Zuletzt begann man mit dem Bau eines großen Badegebäudes (Thermae), das der Einhaltung der hygienischen Maßnahmen diente. Auch die Benutzung von Seife zur Körperreinigung war schon bekannt. Das alles wurde in kurzer Zeit völlig neu geschaffen. Bilder im Internet erinnern stark an die ersten aus dem Boden gestampften Krankenhäuser in Wuhan/China.
Die außerordentlichen Strategien im Kampf gegen das Bakterium sind auch für die damalige Zeit als sehr fortschrittlich zu bezeichnen und durchaus mit heute vergleichbar. In dem römischen Weltreich war die Wirksamkeit und Ausbreitung des Bakteriums nicht absehbar. Das Römische Reich erreichte unter der Herrschaft von Mark Aurel eine Ausdehnung vom Persischen Golf bis zum Atlantik, von Nordafrika bis Großbritannien und beherbergte zu dieser Zeit rund 100 Millionen Einwohner. Doch wie ging diese Pandemie der römischen Geschichte aus? Kurzfristig recht erfolgreich, die römische Armee schlug die Germanen, die Außengrenzen wurden gesichert, die "Bernsteinroute" geschlossen. Mittelfristig war weniger die militärische Bedrohung als die Auswirkungen des Pestbakteriums eine Gefahr für das Römische Reich. In den Jahrzehnten danach gab es einen deutlichen Bevölkerungsrückgang, eine Verödung in den Landstrichen mit nachhaltigem wirtschaftlichem Niedergang. Vielleicht war es schon der Beginn des Unterganges des römischen Reiches?
Übrigens, der „Philosophenkaiser“ hat eine Art Tagebuch, er nannte es „Selbstbetrachtungen“, verfasst. In einer Ausgabe vom Marixverlag 2011 wird folgender Klappentext auszugsweise zitiert: „Als eines der ersten schriftlichen Zeugnisse überhaupt haben sie den eindringlichen ‚Dialog‘ eines Ichs mit sich selbst zum Gegenstand. Seine Aphorismen stellen den Versuch dar, auf die ‚ewigen Fragen‘ nach Vergänglichkeit, der Rolle des Individuums im Kosmos, den Möglichkeiten nach Selbstvervollkommnung und innerer Freiheit eine punktuelle Antwort zu finden. Ihre Verankerung haben sie im philosophischen Lehrgebäude der Stoa, die besagt, dass allen Lebenszusammenhängen ein universelles göttliches Prinzip – der Logos – zugrunde liegt.“
„Brüggemanns Prüfender Blick“, was war los in der Klassik-Welt mit Axel Brüggemann immer freitags bei Klassik-Radio
(Freitag, 30. April 2021)
Ja, ich gebe mich zuerkennen als Klassik-Radio Hörer und das so ziemlich den ganzen Tag und das kurze Feature des Musikjournalisten Axel Brüggemann möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:
„Die Fronten verhärten sich und das auch auf den hoffentlich letzten Metern in der Zeit, die wir uns alle so nicht vorstellen konnten. Es fällt schon schwer zusammenzufassen, was allein in dieser Woche passiert ist. Da waren die Schauspieler und ihre Videos mit dem #allesdichtmachen: Eher zufällig schaute ich beim sogenannten Bürgerdialog der Kanzlerin mit Kulturschaffenden vorbei und weiß nicht was schlimmer war, die Not der Künstlerinnen und Künstler, die Art ihre Situation vorzutragen oder die Müdigkeit der Bundeskanzlerin, die sich all das anhören musste. Und gestern dann haben die Geigerin Anne Sophie Mutter und der Sänger Christian Gerhaher, der Dirigent Thomas Hengelbrock und andere Klage gegen die Kulturschließung beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Ein Satz stand am Anfang der Pandemie. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat ihn gesagt, ‚irgendwann werden wir einander viel verzeihen müssen‘. Und vielleicht ist diese Zeit jetzt gekommen. Jeder Opern- Fan denkt bei diesem Satz natürlich an Mozart, an die Hochzeit des Figaro, an das große Perdono im Finale, wenn alle allen verzeihen, weil alle irgendwie Fehler gemacht haben. Offensichtlich, wissentlich, heimlich oder aus Versehen. Vielleicht ist es langsam Zeit, wieder in den Mozart-Modus zu schalten, denn die echten Kämpfe, die stehen uns vielleicht erst noch bevor, der Kulturabbau nach Corona, politische Einsparungen, die Infragestellung von Orchestern, Theatern und Konzerthäusern. Vorboten gibt es genug. Der Chor des NDR in den letzten Monaten heimlich zusammengeschrumpft, das Theater in Görlitz in den letzten Wochen klammheimlich zur Disposition gestellt, Aufschrei Fehlanzeige. Gerade auf der Zielgeraden könnte es jetzt wieder darum gehen, zusammenzufinden, zu zeigen, dass die Kultur sich nicht spalten lässt. Sie ist der Garant für konstruktiven Streit, für Debatte und Diskurs. Aber am Ende geht es allen darum, zu begeistern, zu entflammen und zu bewegen. Ich freue mich, wenn das endlich wieder auf den Bühnen stattfinden kann und nicht länger in YouTube Videos oder in den sozialen Netzwerken.“
Schließen möchte ich mit einem Zitat des Trend- und Zukunftsforschers Matthias Horx: „Die Corona-Pandemie ist der ‚Eröffner‘ einer neuen historischen Phase, in der sich das entschleunigte Leben der Menschen viel mehr im Einklang mit der Umwelt befinden wird“.
Bleiben Sie gesund und optimistisch!
Corona-Essay (2) von Dieter Heymann
„Meine Gedanken hinter den Nachrichten“
25. April 2021
Der eine oder andere möchte sich vielleicht später einmal die Corona-Historie der „größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“, wie das Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel nannte, in
Erinnerung rufen: Am 31. Dezember 2019 wurde die Weltgesundheitsorganisation über Fälle von Lungenentzündungen mit unbekannter Ursache in der chinesischen Stadt Wuhan informiert. Daraufhin
identifizierten die chinesischen Behörden am 7. Januar 2020 als Ursache ein neuartiges Corona Virus, das die Bezeichnung „COVID-19-Virus“ erhielt. Das oder der „Virus“ gehört seit nunmehr
fünfzehn Monaten zu den meistgebrauchten Begriffen weltweit. Ich möchte einigen Fragen nachgehen, die wahrscheinlich nicht nur mir, sondern den meisten Menschen immer wieder durch den Kopf gehen.
Was ist genau ein Virus? Seit wann kennt man eigentlich Viren und wann wurden diese unsichtbaren Winzlinge überhaupt entdeckt. Je tiefer man in eines der spannendsten Kapitel der
Medizingeschichte eintaucht, umso spannender wird es.
Eine gewisse Ahnung in der neueren Geschichte bestand schon in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts. Es war diese Zeit, in der die Medizin enorme Fortschritte aufzuweisen hatte.
Die Zusammenhänge zwischen verheerenden Infektionskrankheiten und den sie verursachenden Mikroorganismen wurden zunehmend entdeckt und erforscht. Es begann mit der Tuberkulose, dem Mycobacterium
tuberculosis und der Diphtherie, dem Corynebacterium diphtheriae.
Im Medizinlexikon habe ich nachgelesen:
Heutzutage ist Tuberkulose bei ausreichend langer und sachgemäßer medikamentöser Behandlung heilbar, die Gefahr eines Rückfalls ist dann äußerst gering. Die Heilungsaussichten sind umso
besser, je zeitiger die Diagnose gestellt und mit der Therapie begonnen wird. Diphtherie ist eine akute Infektion, die lebensbedrohlich sein kann. Sie wird durch ein Bakterium ausgelöst, das
durch Husten oder Niesen übertragen wird. Mögliche Anzeichen von Diphtherie sind unter anderem Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, Fieber und Schlappheit. Sie werden durch das von den Bakterien
produzierte Gift hervorgerufen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt allen Erwachsenen, die Impfung gegen Tetanus und Diphtherie auch heute unbedingt wahrzunehmen und alle zehn Jahre
aufzufrischen.
Die Bakteriologie war ab ungefähr 1880 in voller Blüte. Die damaligen Infektionsforscher ahnten aber auch, dass es jenseits von Bakterien noch andere, bisher unbekannte Erreger geben musste – so
klein, dass sie selbst mit den besten Lichtmikroskopen nicht zu sehen waren. Im Jahr 1906 gelang dem Hamburger Bakteriologen Enrique Paschen (1860–1936) der Nachweis des Pockenvirus. Weil es für
ein Virus außergewöhnlich groß ist (200–400 nm = 0,2- 0,4 µm), die größten Viren sind so groß, wie die kleinsten Bakterien, ließ es sich im Lichtmikroskop gerade noch erkennen. Jedoch reicht für
Viren und sehr kleine Bakterien die Auflösung des Lichtmikroskops nicht aus. Erst mit der Erfindung des Elektronenmikroskops 1934 der beiden Elektroingenieure Ernst Ruska, Professor an der Freien
Universität Berlin, und Dr. Max Knoll, war man mit dem ersten Elektronenmikroskop der Welt in der Lage, Viren sichtbar zu machen. Heute haben wir sehr viel mehr Informationen und grundlegende
Kenntnisse über deren Eigenschaften: Sie bestehen lediglich aus Nukleinsäure (DNA oder RNA) und einer Proteinkapsel. Manche besitzen zusätzlich eine Lipidhülle. Da Viren keine selbstständigen
Organismen sind, benötigen sie zu ihrer Reproduktion immer lebende Wirtszellen bei Tieren und Menschen. Außerhalb dieser Zellen können sie sich nicht vermehren. Sie können jedoch mehr oder
weniger lange überdauern und infektiös bleiben. Allerdings sind längst nicht alle Viren Krankheitserreger. Schätzungen zufolge gibt es 100 Millionen Virustypen auf der Welt, mit denen Mensch und
Tier leben.
Es gibt ein sehr altes Buch, „im Julius 1796 in Jena“ zum ersten Mal erschienen und in unzähligen Neu- und Wiederauflagen millionenfach verbreitet bis hin zu Nachdrucken in unserer heutigen Zeit,
in dem ich immer wieder aufs Neue gerne hochinteressante Beiträge zur Gesundheit nachschlage.
Es trägt den Titel »Makrobiotik oder die Kunst das menschliche Leben zu verlängern«. Der Autor Christoph Wilhelm Hufeland (* 12. August 1762 in Langensalza; † 25. August
1836 in Berlin), ein deutscher Arzt, königlicher Leibarzt, Sozialhygieniker und „Volkserzieher“, empfiehlt in seinem Hauptwerk eine besondere Ernährung und zeichnet die Bedingungen für einen
rundum harmonischen Lebensstil auf. Ganz besonderen Wert legt er auf eine entsprechende Auswahl der Nahrungsmittel bei einer „makrobiotischen“ Ernährung. Sie soll das Gleichgewicht der beiden
Kräfte Yin und Yang im idealen Fall ergänzen. Yin, das weibliche und Yang das männliche Prinzip in der chinesischen Philosophie sind zwar entgegengesetzte, aber dennoch aufeinander bezogene
Kräfte. Zu Yin gehören viele frische Obst- und Gemüsesorten wie Tomaten und Gurken, Milch und grüner Tee, zu Yang zählt man Trockenobst, Bohnen, Fleisch, Fisch und Ingwer. Yin wird von der
Makrobiotik zu den sauren Lebensmittel, Kalium, Zucker und Früchte zugeordnet, Yang steht für basische Lebensmittel, Natrium, Salz und Getreide. Im Zeitalter der neuzeitlichen Aufklärung begannen
die Menschen in ganz Europa ihr Denken stark zu verändern. Hufeland propagierte und praktizierte auch die Pocken-Impfung etwa zur gleichen Zeit wie Damian von Siebold (1768 – 1928) Arzt,
Geburts-helfer, Amtsphysikus, Hebammenlehrer, Hospitalarzt, Hofrat in Darmstadt.
Die Zeit der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika 1776, der Einfluss der Französischen Revolution 1789 und Immanuel Kants „Sapere aude!“, habe Mut, dich deines
eigenen Verstandes zu bedienen, waren nicht nur der Wahlspruch der Aufklärung und modernen Philosophie, sondern auch der Beginn und Wendepunkt das Bewusstsein der Menschen für ihre Rechte
einzutreten und zu kämpfen.
Hier kamen Hufelands Thesen genau zum richtigen Zeitpunkt. Im Praktischen Teil seines Buches wird in Kapitel IX. das Gift beschrieben, sowohl physisches als contagiöses (lateinisch contagiosus).
Der erstaunte Leser entdeckt das annähernd gleiche Vokabular der heutigen Pandemie. Natürlich in der Sprache der damaligen Zeit: „Wir verstehen darunter alle Substanzen, die schon in geringer
Menge sehr nachteilige oder zerstörende Wirkungen in dem menschlichen Körper hervorbringen können. Es gibt deren sehr viele in der Natur, und von mannigfaltiger Art: einige wirken heftig, andere
schleichend, einige schnell, andere langsam, einige von außen, andere von innen, einige sichtbar, andere unsichtbar, und es ist nicht zu leugnen, dass sie unter die allgemeinsten und
gefährlichsten Feinde des Lebens gehören. Ich halte es daher für sehr notwendig und für einen wesentlichen Teil der allgemeinen Bildung und Kultur des Menschen, dass ein jeder diese Gifte
erkennen und vermeiden lerne, weil man sonst durch bloße Unwissenheit und Unachtsamkeit unzähligen Vergiftungen ausgesetzt ist. […] Die contagiösen Gifte erzeugen sich immer in einem lebenden
Körper und besitzen die Kraft sich in einem anderen zu reproduzieren. Dieser Originaltext stammt aus 1796 und ist vor 225 Jahren entstanden. Eigenständige Institute, die sich mit der
Forschung zu humanpathogenen Viren beschäftigen, wurden in Deutschland flächendeckend ab den 1950er Jahren gegründet. Die Beobachtung von Viren konnte dank des Elektronenmikroskops erst ab den
1940er Jahren in größerem Umfang erfolgen.
Christoph Wilhelm Hufeland setzt sein „nichtmedizinischen Publikum“ in den Stand, die kontagiösen Gifte strikt zu vermeiden. Er gibt allgemeine Regeln, wie man sich vor einer Ansteckung aufs
Beste schützen kann und was jeder einzelne Mensch für sich und auch seine Umgebung tun kann.
Ich werde die einzelnen Punkte, die etwas an unsere heutigen AHA-Regeln erinnern, in einer starken Verkürzung des Textes beschreiben:
1. Man beachte die größte Reinlichkeit, denn durch die äußere Oberfläche werden uns die meisten Gifte mitgeteilt, und es ist erwiesen, dass sie durch Reinigungen wieder entfernt werden
konnten, ehe sie uns wirklich schaden konnten.
2. Man sorge für reine Luft im Zimmer, für öfteren Genuss der freien Luft.
3. Man erhalte guten Mut und Heiterkeit der Seele. Diese Gemütsstimmung erhält am besten die gegenwirkende Kraft des Körpers
4. Man vermeide alle nähere Berührung mit Menschen, die man nicht, auch von Seiten ihres Physischen, ganz genau kennt, vorzüglich die Berührung von z.B. verwundeten Stellen, Lippen,
Brustwarzen, Zeugungsteilen, als wodurch die Einsaugung am schnellsten geschehen kann.
5. Wenn ansteckende Krankheiten an einem Ort herrschen, so empfehle ich sehr die Regel, nie nüchtern auszugehen, weil man nüchtern am leichtesten von außen einsaugt, sondern immer erst etwas
zu genießen, auch, wenn man es gewohnt ist, vorher eine Pfeife Tabak zu rauchen.
In Kapitel XIII greift Hufeland den vorgehenden Punkt 3 noch einmal ausführlich auf: Ruhe der Seele, Zufriedenheit, Leben verlängernde Seelenstimmung und Beschäftigen. Hier möchte ich auch wieder
einige wenige Punkte aufgreifen. Seelenruhe, Heiterkeit und Zufriedenheit seien die Grundlage allen Glückes, aller Gesundheit und eines langen Lebens. Man gewöhne sich, dieses Leben nicht als
Zweck, sondern als Mittel zu immer höheren Vervollkommnung anzusehen. Auch das ‚Carpe diem‘, das „Benutzen“ eines Tages, so, als wenn er der Einzige wäre, trägt dem Wohlbefinden bei. Dieses Buch
enthält einen wahren Schatz bekannter und weniger bekannter „Lebensregeln“, sowohl in physiologischer, psychologischer und mentaler Hinsicht. Vor allem hat es mich gerade in der Pandemie etwas
abgelenkt von den täglichen Inzidenzzahlen.
Die beiden Ärzte, Medizinhistoriker und Medizinethiker Professor Heiner Fangerau, 48 Jahre und der emeritierte Professor Alfons Labisch, 75 Jahre, haben ein neues, sehr lesenswertes
Buch „Pest und Corona, Pandemien in Geschichte, Gegenwart und Zukunft“ veröffentlicht und darin die Fragen diskutiert, wie vergangene Seuchen das öffentliche und private Leben
verändert haben und worauf wir uns zukünftig in Gesellschaft und Gesundheitswesen einrichten müssen, wenn wir unsere Lebensart bewahren wollen, wenn uns das überhaupt jemals so wieder gelingen
sollte.
Einer meiner Philosophielehrer, Dr. Peter Vollbrecht, schreibt in seinem Corona-Tagebuch: „Wir erleben gerade eine rapide Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Welt mit und
nach der Corona-Pandemie wird eine andere sein als zuvor. Wie wir leben, wie wir wirtschaften, kooperieren und wie wir uns bewegen, nichts davon wird mehr so sein wie vorher. Damit verbinden sich
viele Ängste. Aber es öffnen sich uns auch Räume zu neuen Orientierungen. Das menschliche Zusammenleben wird sich grundlegend neu justieren. Wir wollen dabei sein, wir wollen mitreden im Konzert
einer neu sich findenden öffentlichen Vernunft.“
In meinem 2018 erschienenen Buch „Weise altern“ habe ich im Nachwort geschrieben, „wenn nicht jetzt, wann dann? Eine Frage, die an keine Zeit gebunden ist, aber je älter ich
werde, je mehr gewinnt sie für mich an Bedeutung. Für alle Entscheidungen im Leben, die kleinen und die großen, ist sie hilfreich. In der Reflexion auf mein Leben kann ich feststellen, ob ich
immer die richtigen Fragen gestellt und richtig gehandelt habe. »Verstehen kann man das Leben rückwärts; leben muss man es aber vorwärts«, ist das berühmte Zitat des dänischen Philosophen Søren
Kierkegaard (1813-1855). Auch von Oscar Wilde (1854–1900) gibt es ein tiefsinniges Zitat zu diesem Thema: »Nicht die Jahre in unserem Leben zählen, sondern das Leben in unseren Jahren«.
Die Einschränkungen in der Pandemie müssen wir alle, ob jung oder alt, ertragen und gerade deshalb ist es vielleicht im Augenblick so schwer vorwärts zu leben. Für unsere Zufriedenheit und
Seelenruhe gibt es eine unentbehrliche Erfordernis, die Hoffnung. Wir schauen tagtäglich gebannt wie die Schlange auf das Kaninchen auf die Pandemiezahlen und Veröffentlichungen. Wie schnell
werden wir Herdenimmunität erlangen oder wann sind die von dem RKI geforderten 70 Prozent geimpft, um unsere Freiheitsrechte wieder zurück zu bekommen? Peter Vollbrecht schreibt, „mathematisch,
so scheint es, ließe sich das Infektionsgeschehen konturenscharf berechnen – gäbe es da nicht das menschliche Verhalten, das trotz ausgeklügelter Algorithmen nicht wirklich in die Modelle
eingepreist werden kann. Das Leben entzieht sich immer wieder der Kontrolle, flüchtet in private Räume oder bleibt undiszipliniert trotz Ordnungsgeld. Unvernünftig sei solches Verhalten, ja
verantwortungslos, und an diesem Urteil wäre kaum zu rütteln, gäbe es da nicht den Verdacht, dass vernünftig heißt, sich den Gleichungen der Mathematik zu unterwerfen. Gewiss: es geht um
Menschenleben, und jeder einzelne Tod streut Leid tief hinein in die Familien. Es geht um den Kampf der Ärzte auf den Intensivstationen, um Doppelschichten der Pflegekräfte, es geht um die
Corona-Generation in Schule und Hochschule, und es geht auch um die vielfachen Tode derjenigen Wirtschaftszweige, die im Lockdown mit Berufsverboten belegt sind. Die Liste der Opfer ist lang, und
da klingt es zynisch, den Verdacht zu äußern, die derzeit allseits angeratene Vernunft käme einer mathematischen Ordnungsmacht gleich. Nichts als ein philosophisches Sandkastenspiel, frivol und
eben unverantwortlich?“
Hufeland schreibt in seinem Nachwort: So wahr bleibt es ewig, was unsere Alten in zwei goldenen Worten als den Inbegriff aller Lebensregeln aussprachen: Bete und arbeite, das übrige wird Gott
machen. Denn was heißt das anders, als dass der Friede Gottes im Herzen und nützliche Tätigkeit nach außen die einzig wahren Grundlagen allen Glücks, aller Gesundheit und alles langen Lebens
sind.
Uns allen wünsche ich eine baldmöglichste Rückkehr zum „alten Normal“, vielleicht mit mehr Vernunft und weniger Debauchen, ein Begriff aus dem Buch von Hufeland.
Literatur:
Christoph Wilhelm Hufeland
Makrobiotik oder Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern, Verlag Georg Reimer, Berlin 1860
Heiner Fangerau | Alfons Labisch
Pest und Corona, Pandemien in Geschichte, Gegenwart und Zukunft, Verlag Herder, Freiburg 2020
Katja Gloger | Georg Mascolo
Ausbruch, Innenansichten einer Pandemie, Piper Verlag München 2021
Corona-Essay (1) von Dieter Heymann
„Meine Gedanken hinter den Nachrichten“
24. März 2021
Dieser Tage lese ich in der FAZ, dass Ralf Flinkenflügel die deutsche Spitzenküche für ebenso krisenresistent hält wie die deutsche Wirtschaft. Flinkenflügel ist Chefredakteur des »Guide
Michelin« Deutschland und Schweiz, der Bibel aller Gourmets und Feinschmecker. Er prognostiziert vollmundig einen wahren Heißhunger auf exzellentes Essen nach der Wiederöffnung der Restaurants.
Den Menschen sei während der Pandemie bewusst geworden, dass ein Restaurantbesuch nicht nur ein kulinarisches, sondern auch ein soziales Ereignis ist. Mein Großvater tröstete mich immer, wenn ich
wieder einmal traurig war, mit den Worten „Essen hält Leib und Seele zusammen“ und lud mich in sein Stammlokal ein. Das war gewiss kein Sternerestaurant, aber mir hat das gut gefallen und er
hatte Recht, danach blickte ich wieder freudiger auf die Welt. Dafür liebte ich meinen „Müller-Opa“.
Alle sehnen das Ende der Corona-Pandemie herbei. Doch wie kann ein Ende aussehen und wird es überhaupt eines geben? Verschwinden Viren irgendwann einfach? Eher nicht, wissen wir aus der Humanbiologie. Und ändert sich wirklich etwas, wenn wir alle geimpft sind? Wann ist endlich Schluss mit den AHA-Regeln? Der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier formulierte drastisch aber zutreffend dieser Tage nach einem Jahr Corona Pandemie „Die Leute haben die Schnauze voll“. Schauen wir uns einmal in der Geschichte der Pandemien um.
Pocken gab es schon sehr lange über viele Jahrhunderte. Doch wesentlich für den erfolgreichen Kampf gegen die Pocken war eine weltweite Impfkampagne, die von der Weltgesundheits-organisation WHO erst im Jahr 1967 gestartet wurde - mit einem sehr wirkungsvollen Impfstoff, der leicht zu handhaben war, weil er nicht gekühlt werden musste, wie das heute bei den Vakzine von Biontech-Pfizer bei sehr hohen Minusgraden für das Corona Virus der Fall ist.
In meinem kürzlich erschienenen Buch HEINRICH überschrieb ich ein Kapitel „Franz Kafka, die Spanische Grippe und ein kurzer Umriss der Seuchengeschichte“. Meine Familiengeschichte beschreibe ich im historischen Kontext. Dazu gehört auch ein etwas ausführlicherer Blick auf vergangene Pandemien. Insbesondere schien mir ihr jeweiliges Ende sehr interessant.
Bislang hat jede Pandemie die Welt verändert. In Hamburg kam es 1831/32 erstmals zu einer Cholera-Epidemie, weitere Epidemien folgten in den Jahren 1848 und 1873. Im August 1892 erfasste die Cholera die Stadt am schlimmsten. Ein drückend heißer Sommer mit flirrender Hitze – für Hamburg eher ungewöhnlich - lastete über der Stadt. Die Pegelstände der Elbe waren auf einen Jahrhunderttiefstand gefallen. Das Wasser hatte sich auf 22 Grad Celsius erwärmt. Aus allen Kanälen drang ein unheimlicher Gestank durch die Gassen der Hansestadt. Es stank erbärmlich aus den Hafenbecken. Die Elbe war eine einzige Kloake. Während die Hitze das Leben in der Stadt lähmte, entfaltete sich im warmen, verdreckten Wasser eine Katastrophe. Ein Bakterium „Vibrio cholerae“, der Erreger der Cholera, verbreitete sich schnell und massiv. Es handelte sich um ein Bakterium aus der Gattung der Vibrionen. Die Zellen sind fakultativ anaerob, das bedeutet, sie können mit und ohne Sauerstoff leben. „Vibrio cholerae“ fand in der aufgewärmten Elbe ideale Bedingungen, um sich explosionsartig zu vermehren. Cholera ist eine bakterielle Infektionskrankheit, bei der das Bakterium ein Gift im Darm bildet, das zu akutem Durchfall und lebensgefährlichem Flüssigkeitsverlust führt. Durch verunreinigtes Trinkwasser, verseuchte Nahrung und in seltenen Fällen auch durch direkten Kontakt zu Erkrankten kann der Mensch sich mit der Krankheit infizieren.
Unter anderen reiste auch Robert Koch 1883 nach Kalkutta, um die Krankheit während eines Ausbruchs direkt vor Ort genauer zu untersuchen. Tatsächlich gelang ihm Anfang 1884 das Bakterium „Vibrio cholerae“ zu identifizieren. Die ersten Impfstoffe gegen Cholera wurden Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt. Bei der Entwicklung des Impfstoffs gab es mehrere Pioniere. Max von Pettenkofer (1818-1901), ein bayerischer Chemiker, trank ein Glas voll mit Cholerabakterien, um zu beweisen, dass sie im gesunden Körper wenig Schaden anrichten. Im Jahr 1884 entwickelte der spanische Arzt und Bakteriologe Jaume Ferran i Clua (1851-1929) einen Lebendimpfstoff, den er in Marseille aus Cholerapatienten isoliert hatte. Der Impfstoff kam während der Choleraepidemie bei über 30 000 Personen in Valencia zum Einsatz. Waldemar Mordecai Haffkine (1860-1930), ein in der Ukraine geborener Bakteriologe, entwickelte einen Impfstoff mit weniger schweren Nebenwirkungen und testete ihn von 1893 bis 1896 an mehr als 40 000 Menschen in der Gegend von Kalkutta. Im Jahr 1896 entwickelte Wilhelm Kolle, ein deutscher Hygieniker und Bakteriologe, der von 1893 bis 1906 Mitarbeiter Robert Kochs war, einen hitzebehandelten Impfstoff, der wesentlich einfacher herzustellen war als der von Haffkine, und setzte diesen 1902 in Japan in großem Maßstab ein. Die ersten oral verabreichten Choleraimpfstoffe wurden erstmals in den 1990er Jahren eingeführt.
Eine weitere sehr sinnmachende Entwicklung wie Kanalisationskonzepte und das Wasser-Klosett gegen die Cholera Epidemie ersetzte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr zögerlich das Plumpsklo.
München erhielt einen zweifelhaften Ruhm als eine der dreckigsten Städte Deutschlands. Es glich einer öffentlichen Latrine. Abfälle und Fäkalien landeten in Abortgruben oder auf der Straße, es
stank zum Himmel. Kein Wunder, dass die Menschen an Typhus und Cholera litten. 1854 gipfelte dieser Zustand in einer großen Cholera-Epidemie, die mit der bayerischen Königin Therese auch ein
prominentes Opfer forderte. Die Stadt bat den damals 35-jährigen LMU-Professor Pettenkofer um Hilfe. Dieser beschließt, etwas zu ändern.
Als Erfinder des Wasserklosetts gilt ein Brite Alexander Cumming (Uhrmacher, Mathematiker und Mechaniker) aus London. Er griff das „englische Klosett“ von Harrington auf und baute es mit einem S-förmigen Abflussrohr mit einem Siphon, um dem Geruch einzudämmen. Dieses Prinzip wird auch heute noch genauso angewandt. Für diese Entwicklung erhielt Cumming 1775 in London das Patent Nr. 814 und gilt seitdem als Erfinder der modernen Toilette, dem WC.
Bei meiner Frage, ob und wie Pandemien enden, stieß ich immer wieder auf Historiker, die ihr Ende vor allem auf zwei Arten beschreiben: ein medizinisches und/oder ein soziales Ende. Das medizinische Ende tritt dann ein, wenn die Zahl der Erkrankten stark zurückgeht. Wenn ein Großteil der Menschen die Infektion überstanden hat und vorerst immun gegen den Erreger ist, spricht man von einer Herdenimmunität oder wenn es wirksame Impfstoffe und Medikamente gibt.
Das soziale Ende ist eine bewusste Entscheidung und findet vor allem in den Köpfen der Menschen statt. Es tritt ein, wenn die Angst vor der Krankheit abnimmt, die Menschen die Einschränkungen nicht mehr hinnehmen wollen – und sukzessive lernen, mit der Krankheit zu leben.
Zu den Viruskrankheiten, die ein medizinisches Ende gefunden haben, gehören zum Beispiel die Pocken. Sie waren eine der tödlichsten Pandemien überhaupt. Im 20. Jahrhundert starben bis zu 500 Millionen Menschen an den Pocken, die Sterblichkeitsrate lag bei nahezu 30 Prozent. Übertragen wurden sie durch das Variolavirus. Im medizinischen Lexikon kann man nachlesen: Es gehört zu den Doppelstrang-DNA-Viren und wird durch Tröpfcheninfektion übertragen. Charakteristisch kommt es bei Personen, die mit Variolaviren infiziert sind, zu Fieber und Bläschenbildung an der Hautoberfläche.
Historische Schriften deuten darauf hin, dass es die Pocken bereits vor mehr als 3 000 Jahren gegeben hat. Wissenschaftler der Charité Berlin, der University of Cambridge und der University of Copenhagen haben in einer aktuellen Studie zum ersten Mal nachgewiesen, dass die Krankheit schon bei den Wikingern in der Zeit von 790–1070 n. Chr. im mitteleuropäischen Frühmittelalter vornehmlich im Nord- und Ostseeraum umging. Das Variolavirus wurde in bis zu 1400 Jahre alten Gebeinen aus Wikinger-Grabstätten in Dänemark, Norwegen, Schweden, Russland und England entdeckt. Personen, die mit dem Virus infiziert waren, entwickelten Fieber, dann einen Ausschlag, der sich in mit Eiter gefüllte Bläschen verwandelte, auch als Blattern bezeichnet, die verkrusteten, abfielen und Narben hinterließen.
Virologen hielten eine Ausrottung möglich wegen der »Schwachstellen« des Virus‘. Das Pockenvirus wurde ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen. Es hatte keinen tierischen Wirt, in dem es überleben konnte. Dr. Barbara Mühlemann, Wissenschaftlerin des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) am Institut für Virologie am Campus Charité Mitte erklärt, „es gibt Krankheitserreger [wie zum Beispiel das Corona Virus], die sowohl im Menschen als auch in Wildtieren zirkulieren können. Selbst wenn ein Erreger im Menschen ausgerottet wird, kann er dann aus dem natürlichen Reservoir wieder in die menschliche Population eingetragen werden.“ Influenza-Viren etwa gehören dazu. Das Variolavirus aber, welches die Pocken auslöst, zirkulierte nur im Menschen. „Das, kombiniert mit einer wirksamen, einfach zu handhabenden Impfung, machte die Ausrottung möglich.“ Die Immunität hält ein Leben lang. Wer die Infektion überstanden hatte oder geimpft war, war ein Leben lang vor den Pocken geschützt. Eine dauerhafte Unterbrechung der Infektionsketten konnte die Seuche also zum Erlöschen bringen. Die Krankheit war klar erkennbar. Die Symptome waren eindeutig. So konnten Infizierte schnell ausfindig gemacht und isoliert werden. 1967 startete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein bisher einzigartiges weltweites Impfprogramm und arbeitete sich von Kontinent zu Kontinent vor. Genauso wie wir es derzeitig von der weltweiten Impfaktion gegen das Corona Virus erleben. Schon nach 13 Jahren später erklärte die WHO die Erde für pockenfrei.
Zu den prominentesten Pocken-Kranken gehörten übrigens Mozart, Haydn, Goethe und Beethoven, obwohl keiner von ihnen tatsächlich an der Pockenkrankheit gestorben ist. Mit großen Interesse habe ich recherchiert, wie sie gestorben sind. Mozart schon mit 35 Jahren an einer viralen Halsentzündung, Haydn war für die damalige Zeit schon ziemlich alt, als er mit 77 Jahren an Altersschwäche starb, Goethe kränkelte zeitlebens und starb an einem Herzinfarkt, und Beethoven starb auch noch relativ jung mit 57 Jahren, nach neuesten Forschungen an einer Bleivergiftung, die den Wiener Wasserleitungen geschuldet war.
Doch zurück zur Spanischen Grippe, die ich in meinem neuen Buch »HEINRICH Geschichte einer Kaufmannsfamilie von 1807 bis
1945« insbesondere deshalb ins Spiel gebracht habe, um sie zum Vergleich zu der aktuellen Covid-19 Pandemie heranziehen zu können. Es geht mir immer noch um die Frage, wie und ob Pandemien
irgendwann einmal enden und wie das mit der Spanischen Grippe vor nicht ganz 100 Jahren war: unerwartet und ziemlich unspektakulär. Nach der dritten Welle im Sommer 1919 galt sie als besiegt. Doch Epidemiologen und Virologen stehen auf dem Standpunkt,
sie habe nie geendet. Die Spanische Grippe gehörte zu den bisher schlimmsten Pandemien der Menschheit in jüngster Zeit.
Sie tötete weltweit in relativ kurzer Zeit mindestens 50 Millionen Menschen. Die erste Welle der Pandemie überzog im Frühjahr 1918 die USA und Europa und verbreitete sich weltweit weiter. Die
meisten Todesfälle gab es in der zweiten Welle in einem Zeitraum von nur 16 Wochen im Herbst 1918. Der Erste Weltkrieg endete offiziell am 11. November 1918. Viele Menschen waren in dieser
schlimmsten Kriegskatastrophe dermaßen paralysiert und traumatisiert, dass die Krankheit weder an ihrem eignen Leib noch in ihrer Umgebung richtig wahrgenommen wurde.
Ausbruch und Verlauf der Spanischen Grippe erfolgten oft sehr schnell, manche Patienten verstarben innerhalb weniger Stunden. Wer überlebte, litt oft noch wochenlang unter chronischer Erschöpfung, Depressionen und neurologischen Störungen. Im Juni 1919 flaute die Pandemie endlich ab. Sie endete medizinisch: Viele Menschen hatten eine Immunität aufgebaut. Wenn sie in den folgenden Jahren doch wieder mit dem H1N1 Virus infiziert wurden, war der Verlauf nicht mehr lebens-bedrohlich. Das Virus mutierte zunehmend in eine weniger aggressive Form. Unklar ist, wann genau die schwächere Mutation entstanden ist. Zusammen mit der hohen Grundimmunität sorgte das weniger tödliche Virus dafür, dass die pandemische Influenza-Welle in eine „normale“ Influenza überging.
Doch die Spanische Grippe endete auch sozial. Der Erste Weltkrieg war vorbei, die Menschen waren bereit für einen Neuanfang. Sie wollten Krieg und Krankheit hinter sich lassen und auch die Grippewelle schnell vergessen. Teilweise wurden die Isolationsmaßnahmen öffentlich aufgehoben, teilweise beschlossen die Menschen selbst, weniger Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten, um sich nach dem Krieg wieder ein Leben aufzubauen – auch, wenn dadurch Tote in Kauf genommen wurden. So ganz verschwand das Virus nie. Das H1N1-Virus gehört zu den Influenza-A-Viren. Bestimmte Varianten dieser Viren traten auch in späteren Pandemien wieder auf – etwa bei der Schweinegrippe, die sich 2009 und 2010 pandemisch ausbreitete. „Das ist eigentlich der gleiche Stamm. Durch Mutation oder durch Übertragung von ganzen Gensegmenten entstehen immer bestimmte Subtypen, die entweder relativ neu für den Menschen sind oder vollständig neu“, so der Arzt und Epidemiologe Dr. Jean-Baptist du Prel in der Reihe „Jahr100Wissen“ der Universität Wuppertal.
Heute rechnet die WHO damit, dass ein bestimmter Teil der Bevölkerung auch mit H1N1 durchseucht ist. Dieser Subtyp ist aber bei weitem nicht so krankheitserregend
wie der Erreger der damaligen Spanischen Grippe. Auch diese Grippepandemien entstanden durch Influenza-A-Viren: Asiatische Grippe von 1957, etwa eine Million Tote (Subtyp H2N2), Hongkong Grippe von 1968, etwa eine Million Tote
(Subtyp H3N2), Schweinegrippe von 2009/2010, über 150.000 Tote (Subtyp H1N1).
Was passierte mit dem ersten SARS-Virus (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom)? Bereits vor der jetzigen Pandemie führte ein SARS-Corona Virus zu einer weltweiten
Pandemie und verursachte das schwere akute Atemwegssyndrom (SARS). SARS-CoV wurde erstmals im November 2002 in der chinesischen Provinz Guangdong beobachtet, danach verbreitete es sich über den
internationalen Flugverkehr weltweit. Innerhalb von acht Monaten starben fast 800 Menschen an SARS, mehr als 8000 Menschen erkrankten schwer. Dennoch konnte die WHO die Pandemie relativ schnell
in den Griff bekommen – am 5. Juli 2003 erklärt sie, die Ausbrüche seien weltweit eingedämmt worden. Dieser schnelle Erfolg hatte mehrere Gründe: SARS-CoV war nicht so ansteckend wie das aktuelle
Corona Virus. Ein Unterschied: SARS-CoV vermehrte sich in der Lunge, nicht schon im Rachen – dadurch war es schwerer, andere anzustecken. Auch waren Infizierte etwa 10 Tage nach Auftreten der
ersten Symptome am ansteckendsten. Man konnte Erkrankte also relativ gut erkennen und isolieren. SARS-CoV-2 dagegen ist, das zeigen mehrere Studien, bereits vor dem Auftreten von Symptomen und
kurz danach besonders ansteckend. Der Erreger konnte schnell relativ gut erkannt werden. Labortests, die das Virus zweifelsfrei erkennen konnten, waren bereits Ende Mai 2003 verfügbar. Übrigens
dank maßgeblicher Mitarbeit von Prof. Christian Drosten. Der damals 30-jährige
Wissenschaftler identifizierte den tödlichen Erreger mit Kollegen vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg.
Wie könnte die aktuelle COVID-19 Pandemie enden? Niemand weiß genau, wie sich die Pandemie entwickeln wird, ob das Virus weiter mutiert und/oder sich abschwächt. Was man sagen kann: Ein medizinisches Ende ist derzeit nicht in Sicht. Eine Ausrottung ist unwahrscheinlich: Das Virus hat einen tierischen Wirt, von dem es immer wieder auf den Menschen übergehen kann. Die aktuellen Daten zur Immunität und Meldungen zu Zweitinfektionen legen nahe, dass nicht mit einer lebenslangen Immunität gegen das Virus gerechnet werden kann. Forscher sehen laut einer aktuellen Studie allerdings Anzeichen dafür, dass sich das Virus endemisch entwickeln könnte, das bedeutet örtlich begrenzt auftretend in einem begrenzten Gebiet. Infektionen würde es somit weiterhin geben, die Schwere der Erkrankung könnte aber abnehmen.
Ob man sich mehrfach mit dem Corona Virus anstecken kann, ist bisher medizinisch ungeklärt. Unklar ist auch, ob eine Impfung tatsächlich vor einer Infektion schützen kann – oder „nur“ für einen leichteren Verlauf sorgen wird. Wissenschaftler vermuten, dass man sich mit den vier saisonalen Corona Viren immer wieder infizieren kann.
Gibt es vielleicht doch auch ein soziales Ende? Nach dem emeritierten Professor der Soziologie am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln Wolfgang Streeck (74) weder verwandt noch verschwägert mit dem Virologen Hendrick Streeck, kommen in der Pandemiebekämpfung meist Virologen und Mediziner zu Wort. Soziologen finden nach seiner Meinung in den Expertenrunden bislang wenig Gehör. Monika Nellessen fragt ihn in einem Interview, abgedruckt im Darmstädter Echo vom 13.03.2021, wie er zu den Lockerungen beim Lockdown steht: „Letztes Frühjahr 2020 gab es wahrscheinlich keine andere Möglichkeit, als zu sagen: Wir sperren den Laden jetzt erst mal zu. Man hätte aber wissen können, dass man das nicht beliebig oft und beliebig lang wiederholen kann. Eine Gesellschaft lässt sich nur für eine begrenzte Zeit stilllegen, dann brechen die Leute aus. Man sieht das ja jetzt; trotz steigender sogenannter Inzidenzzahlen löst sich der Lockdown auf. Im Grunde genommen steht dahinter das Eingeständnis der Politik, dass das Virus nie völlig verschwinden wird und wir lernen müssen mit ihm zu leben.“
Da weltweit der ökonomische Druck wächst und die Menschen eine gewisse „Corona-Müdigkeit“ zeigen, könnte es sein, dass die Corona Pandemie sozial endet, noch bevor sie medizinisch enden kann. Bereits im Herbst 2020 scheinen viele Menschen das Virus weniger ernst zu nehmen, die notwendigen Abstands- und Hygieneregeln seltener einzuhalten.
Prof. Heiner Fangerau, Medizinhistoriker und Medizinethiker, vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Düsseldorf kann sich folgendes „Ende“ der Corona-Pandemie vorstellen: „Das Corona Virus wird ein Begleiter unserer Gesellschaften bleiben. Wir werden uns arrangieren müssen. Das Mantra vom März war „Flatten the curve“ – (engl. für „die Kurve flacher machen“). Dieses Prinzip basiert auf dem Unterschied zwischen linearem und exponentiellem Wachstum. Wenn das weiter verfolgt wird, werden sich die Infektionszahlen auf niedrigem Niveau einpendeln; irgendwann sinkt der Nachrichtenwert und die Aufmerksamkeit für die wenigen Infektionen wird schwinden.“ Das Abflachen der Kurve ist nur möglich, wenn wir alle dazu beitragen. Das heißt ein striktes Einhalten der Regeln, wie Abstand halten, Hygiene beachten und im Alltag Maske tragen. Wenn wir uns in geschlossene Räumen aufhalten, ist auch das regelmäßige Lüften sehr wichtig.
Am 9. März 2021 las ich den FAZ-Artikel mit der Überschrift „Stimmen können die Corona-Infektion verraten“ und hielt das, was da berichtet wurde, als
Science-Fiction oder Fantasy komplett erfunden. Da wurde von einer Firma audEERING GmbH in Gilching, 2012 als Spin-Off (Ausgründung) der TU München, berichtet, dass sie als einziges europäisches
Unternehmen Innovationstreiber im Bereich emotionaler künstlicher Intelligenz mit Fokus auf intelligente Audioanalyse ist: „Durch innovative Verfahren der maschinellen Intelligenz sowie Deep
Learning ermöglichen audEERINGs Produkte u. a. die automatische Analyse von akustischen Umgebungen, Sprecherzuständen sowie über 50 verschiedenen Emotionsausprägungen."
Wikipedia: Deep Learning bezeichnet eine Methode des maschinellen Lernens, die künstliche neuronale Netze mit zahlreichen
Zwischenschichten zwischen Eingabeschicht und Ausgabeschicht einsetzt und dadurch eine umfangreiche innere Struktur herausbildet. Es ist eine spezielle Methode der
Informationsverarbeitung.
Die Vita der Vorstandsvorsitzenden Dagmar Schuller, Geschäftsführerin und Mitbegründerin von audEERING liest sich spannend: „Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien und der New York University (L. Stern School of Business) mit den Schwerpunkten Internationales Management & Marketing, Finanzen und Informationstechnologie sowie Jura an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit Schwerpunkt IP / IT-Recht. Audeering“. Audeering hat sich durch einen sehr frühen Kontakt nach Wuhan, wo die Corona Pandemie ausbrach, mit Covid-19 auseinandergesetzt. Grundlage der Forschung sind vorangegangene Ergebnisse, nach denen sich Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer, Depressionen und Burnout in einem sehr frühen Stadium durch Veränderungen in der Stimme diagnostizieren lassen. Nun gibt es auch einen fix und fertigen Corona-Test bei Audeering, bei dem nach nur 30 Sekunden normalem Sprechen auf ein Smartphone das positive oder negative Testergebnis feststeht. Audeering wollte bereits im Mai 2021 seinen Corona-Test auf den Markt bringen. Die Bürokratie in unserem Lande fordert aber noch deutlich mehr Daten, um eine Zulassung als Massentests zu genehmigen. Im Einzelnen soll es um Datensicherung und Datenschutz handeln, warum der Test noch keine Zulassung erhalten hat. Dagmar Schuller hofft auf eine Zulassung als Massentest im Sommer 2021.
Prof. Dr. Martin Booms sagte in einem am 22.03.2021 veröffentlichtem FAZ-Interview „dass uns, wenn wir die Pandemie einmal medizinisch im Griff haben, sie noch lange weiterbeschäftigen könnte [...], das Bild mit dem Licht am Ende des Tunnels führt in eine falsche Richtung“. Selbst nach der Durchimpfung könnten wir nicht einfach so weitermachen wie bisher, meint der Direktor der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur in Bonn. „Die wahren Herausforderungen des 21. Jahrhunderts warten erst noch auf uns. Wir werden ohnehin unsere Lebensweise, unsere Wertvorstellungen, unsere Wirtschaftsweise auf den Prüfstand stellen müssen. Ganz wichtig ist, dass wir diese Herausforderung akzeptieren und dabei nicht immer nur negativ bewerten als Bedrohung. Im notwendigen Wandel und der Entwicklung liegt auch eine Chance, ein anderes, neues gutes Leben zu entdecken“, rät der Philosoph.